Sie liest gerne. Sie ist empathisch. Sie schreibt wertschätzend über das Leben anderer.

Claudia Engel ist Trauerrednerin und begleitet Menschen ein Stück des Weges, damit sie sich im Guten an den schweren Tag der Beerdigung, den Abschied ihres geliebten Angehörigen erinnern können. Sie schreibt und hält die Trauerrede, gestaltet und leitet nach den Wünschen der Angehörigen die gesamte Beerdigung.

Hallo Frau Engel, welches Gefühl entsteht, wenn Sie eine Trauerrede halten – sowohl bei Ihnen als auch bei den Trauernden?

Bei mir entsteht Zufriedenheit, wenn ich in die Gesichter der Anwesenden blicke und wenn ich hinterher ihre Rückmeldung bekomme, wie: „Das war eine schöne Trauerfeier.“ Denn dann ist es mir gelungen, das Wesen, die Persönlichkeit des verstorbenen Menschen noch einmal lebendig werden zu lassen.

Die Trauergäste sind sehr dankbar, dass der letzte Abschied in einem würdevollenm Rahmen stattgefunden hat, und sie sich an schöne Augenblicke erinnern konnten. Wie ein heller Lichtstrahl, der sich leichtfüßig seinen Weg durch die Trauer bahnt. Oft sind positive Gedanken durch die schweren Tage in den Hintergrund gerückt.

Sie blicken auf einen erstaunlichen Lebenslauf zurück, der viele Facetten bereithält. Was hat Sie dazu bewegt, als Trauerrednerin tätig zu werden?

Meine Lebenserfahrung beinhaltet einige Stationen, wie das Germanistikstudium, das Studium der Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte in München. Ich war als Fernsehredakteurin immer an sozialen Themen interessiert und komme schnell mit Fremden in Kontakt, die sich mir öffnen können. Mich berühren die Geschichten, die sie mir erzählen und ich lerne viel daraus. Beim Fernsehen habe ich Unterhaltungssendungen, wie z. B. die ARD-Talkshow „Fliege“ (die fast 11 Jahre zum Nachmittagsprogramm gehörte) oder die Kabarettsendung „Ottis Schlachthof“ entwickelt und aufgebaut. Danach war ich 17 Jahre als Pressereferentin für Fraueneinrichtungen tätig. Auch bei dieser Aufgabe hatte ich immer wieder mit Bruchstellen im Leben anderer Menschen zu tun. Nachdem ich ins Ruhrgebiet zurückkam, blieb ich vorerst bei meiner Tätigkeit, doch sie erfüllte mich nicht mehr so wie früher.

Ich habe eine Pause eingelegt und mich gefragt, was mir Spaß macht. Dabei wurde mir klar, dass es um eine Kombination meiner Kompetenzen geht. Zum einen bin ich Journalistin und zum anderen baue ich gern eine Verbindung zu anderen Menschen auf.
Während einer Trauerfeier hatte ich schon vor ein paar Jahren einen wirklich schlechten Trauerredner erleben müssen. Wie das im Leben oft geschieht, fiel mir ein Artikel der Süddeutschen Zeitung ins Auge. Ein Trauerredner schrieb über seinem Alltag, über seine Aufgaben und von den bereichernden Begegnungen. Dieser Beitrag hat mich inspiriert, mich mit dieser Tätigkeit auseinanderzusetzen und ich stellte fest, das passt wunderbar zu dem, was ich schon mitbringe. Ich machte mich auf die Suche, nach einer entsprechenden, qualifizierten Ausbildung, um mein vorhandenes Handwerkszeug noch zu verfeinern.

Der Gedanke, meine gebündelten Fähigkeiten in dieser Tätigkeit nutzen zu können, fühlte sich wirklich gut an. Große Empathie, gutes Wortgefühl und meine Lebenserfahrungen sind optimale Grundlagen, um „fühlige“ Texte zu schreiben und den verstorbenen Menschen mit seiner Geschichte, mit seinem Wesen, mit dem, was ihn ausmachte in der Trauerrede widerzuspiegeln.

Rückblickend wird deutlich, dass es eine Art berufliche Neuorientierung war. Sie fand mit dem Beginn der Selbstständigkeit als Trauerrednerin im November 2022 ein Ende und beinhaltete gleichzeitig einen wunderbaren Neuanfang.

Liebe Frau Engel, wie können sich unsere Leser:innen Ihre Tätigkeit vorstellen? Wie finden Angehörige zu Ihnen und wie sieht Ihr Alltag bzw. der weitere Ablauf dann aus?

Entweder werde ich von den Bestatter:innen empfohlen, im Internet gefunden oder es hat mich schon jemand als Trauerrednerin erlebt und erinnert sich. Im ersten Schritt telefonieren die Hinterbliebenen mit mir, um einen Termin zu vereinbaren.

In das Gespräch vor Ort gehe ich mit einer totalen Offenheit, daich vorher nicht weiß, was mich erwartet. Meine „Antennen“ sind ausgefahren, um die trauernden Angehörigen gut einschätzen und aufmerksam hinhören zu können.

Ich strahle Ruhe und Gelassenheit aus und gebe den Anwesenden die Zeit, die sie brauchen, um ihre Gedanken und ihre Gefühle zu sortieren. In diesen Gesprächen bin ich emotional auf mein Gegenüber fokussiert. Mit großer Sensibilität leite ich durch das Gespräch, und behalte alle offenen Fragen im Blick, damit ich von möglichst vielen Facetten der verstorbenen Person erfahre. Eine Tochter hat das einmal auf den Punkt gebracht: „Frau Engel, vielen Dank für das wunderbare Gespräch, das war fast wie eine Therapiestunde für mich.“ Die Angehörigen kommen manchmal für den Moment in eine andere Stimmung, denn wir gehen im Gespräch zurück und betrachten den gesamten Lebensweg der Verstorbenen. Das lässt die letzten, schweren Tage vergessen, es fällt ihnen wieder etwas ein und sie lächeln plötzlich. Dann wird das Herz etwas weiter, was sich vorher zusammengezogen hatte.

Nach diesen Vorgesprächen brauche ich erst einmal Stille. Mitunter gibt es Probleme in den Familien und ich spüre, wenn Spannungen vorhanden sind. Manchmal ist die Todesursache schwierig, wie beispielsweise ein Selbstmord. Oder es ist ein Kind, ein junger Familienvater verstorben – und die Angehörigen sind in einem schockartigen Zustand. Ich fahre nach Hause, habe das Radio ausgeschaltet und lasse das Gespräch in mir nachwirken.

Zusammengefasst sieht es – zeitlich betrachtet – so aus, dass ich zum ca. 2-stündigen Vorgespräch mit den Angehörigen fahre. Danach schreibe ich die Trauerrede und übe sie ein, das dauert etwa 4 Stunden. Die Beerdigung selbst dauert auch nochmal 1 – 2 Stunden. Mit Fahrtzeiten bin ich etwa 8 – 9 Stunden beschäftigt. Die Kosten bewegen sich ab 400 Euro aufwärts und es gibt regionale Unterschiede.

Herzlichen Dank für die Zusammenfassung. Jetzt möchte ich von Ihnen wissen: Was war ein ganz besonderer Moment, der bei Ihnen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat?

Eine Trauerfeier wird mir immer besonders in Erinnerung bleiben. Der Abschied fand vor der Seebestattung in einem Lokal am Baldeneysee, in einem separaten Raum statt. Die Urne war mit dem Kranz und den Kerzen wunderschön aufgestellt. Die Angehörigen sollten persönliche Erinnerungsstücke mitbringen, die neben mir auf einem Tisch lagen. Ich habe die Trauerrede gehalten und mich dann den mitgebrachten Gegenständen auf dem Tisch gewidmet. Jedes Erinnerungsstück wurde von mir anmoderiert und die jeweiligen Trauergäste haben die dazugehörige Anekdote erzählt, so dass viele Geschichten geteilt wurden. Es war eine wahrlich würdevolle Trauerfeier, die den Hinterbliebenen viel gegeben hat.

Das hört sich wundervoll an und es ist nachvollziehbar, welch schöne Erinnerungen dadurch wieder wach werden. Damit unsere Leser:innen ähnliche Erlebnisse machen können, was ist aus Ihrer Erfahrung in den Vorgesprächen besonders wichtig? Worauf sollten Angehörige im Trauerfall achten?

Der Beruf des Bestatters ist traditioneller Weise eine Männerdomäne. Denn früher waren es häufig Schreiner, die sich auf Bestattungen spezialisiert haben, da sie auch die Särge herstellten. Oftmals wurde das Geschäft an eines der Kinder weitergegeben. Wenn heutzutage ein Bestatter in Ruhestand geht und niemand aus der Familie den Betreib weiterführen möchte, kauft ihn ein anderer Bestatter. Der alteingesessene Name bleibt jedoch bestehen. Gut ist, dass immer mehr Frauen Bestattungshäuser gründen, gerade in Großstädten wie Berlin oder München. Man(n) bleibt auch gern unter sich, so dass es für Trauerrednerinnen wie mich nicht einfach ist, über die Bestattungshäuser empfohlen zu werden. Das mag jetzt vielleicht etwas bitter klingen, aber immer wieder erzählen mir Hinterbliebene von Trauerfeiern, die sie entsetzlich fanden und die alles andere als individuell und persönlich waren.

Mein Tipp für Ihre Leser:innen: Recherchieren Sie kurz im Internet, hören Sie auf Ihr Bauchgefühl, gehen Sie nach Sympathie. Beim ersten Telefonat wird meistens schon klar, ob das passen könnte oder nicht. Dabei ist spürbar, ob jemand gut mit Worten umgehen kann und wie der Klang der Stimme ist.

Beim Schreiben der Trauerrede kann ich nur für mich sprechen. Mir ist wichtig, dass ich den Anwesenden mit meinen Worten und Gedankengängen etwas geben kann. Ich möchte den Verstorbenen authentisch darstellen und nicht mit Floskeln oder pauschalen Aussagen um mich werfen. Im letzten Teil der Rede geht es um den Ausblick: eine Hoffnung, den nächsten und übernächsten Tag, und darum, den Angehörigen kleine, gedankliche Samenkörner mitzugeben, die vielleicht aufgehen werden.

Vielen Angehörigen ist es wichtig, dass sie nach einem würdevollen Abschied sagen könnten: „Das hätte ihm oder ihr wirklich gut gefallen.“ Wem die Beisetzung am Herzen liegt, nimmt sich die halbe Stunde, um nach der besten Option zu recherchieren und vermeidet es, sich nur auf eine einzige Person zu verlassen.

Liebe Frau Engel, was liegt Ihnen besonders am Herzen und was verstehen Sie unter dem Begriff „Würde“?

Es ist schade, dass der Tod in den Familien nicht mehr thematisiert wird. Er gehört zum Leben dazu, und zwar: seit wir geboren sind steht fest, wir werden irgendwann sterben. Doch das Thema wird nicht angefasst, auf die lange Bank geschoben und verliert sich dann im Laufe der Zeit. Dadurch fehlt den Angehörigen das Wissen über die Wünsche der Verstorbenen und mir liegt am Herzen, dass mehr Menschen ihren Mut zusammennehmen, um das Gespräch in den Familien zu führen.

Mit dem Wort „Würde“ geht für mich einher, die verstorbene Person mit all ihren Lebensinhalten zu sehen, das Leben an sich zu würdigen und mich davor zu verneigen. Den Angehörigen gegenüber ist es dasselbe. Das, was ich im Vorgespräch höre, spüre und wahrnehme so stehen zu lassen, es wertzuschätzen und jeden so sein zu lassen, wie er ist. Das ist Würde.

In Bezug auf die Trauerfeier umfasst die „Würde“ einen gewissen Rahmen, einen Raum der Stille, der Wachheit, eine getragene Atmosphäre, in der ein Mensch verabschiedet wird. Der Rahmen entsteht durch eine konzentrierte Stille und die besondere Atmosphäre in der Trauerhalle. Wir geben dem Verstorbenen einen Raum, wir gedenken seiner. Würde ist für mich die Verneigung vor dem Leben, welches wir verabschieden.

Auf Ihrer Website gibt es einen Menüpunkt „Trauerhallen“ und „Hinterzimmer“. Was hat es damit auf sich?

Ich habe Kunstgeschichte studiert und Architektur interessiert mich von Hause aus. Die Fotos sind als Dokumentation der jeweils ganz eigenen Trauerhallen und ihrer Innenräume gedacht und dienen den Angehörigen dazu, sich mit diesem Raum vorher schon ein wenig vertraut zu machen. Sie vermitteln einen ersten Eindruck von der jeweiligen Atmosphäre. Es gibt fast in jeder Trauerhalle einen Raum, in dem sich der Pfarrer umziehen kann. Er dient mir dazu, mich auf das Begleiten der Trauerfeier und das Halten der Trauerrede vorzubereiten. Diese Räume sind dem Trauergast unbekannt – deshalb fotografiere ich sie und nenne sie „Hinterzimmer“. Es ist immer wieder eine Überraschung, was sich in diesen Räumen verbirgt. Schauen Sie auf meine Website, sie werden erstaunt sein …

Liebe Frau Engel, was möchten Sie unseren Leser:innen mit auf den Weg geben? Haben Sie Tipps oder Erkenntnisse, die Sie teilen möchten?

Auf meiner Website im Blog habe ich einige Tipps mit ergänzenden Erklärungen zusammengefasst, auf die ich an dieser Stelle gern hinweisen möchte.

  • Augen auf bei der Wahl des Bestattungshauses
  • Gedanken über die Gestaltung der Trauerfeier
  • Die Trauerrede: Das Herzstück einer würdevollen Trauerfeier
  • Zeitfenster bedenken
  • Auswahl der Trauerredner:in
  • Kosten und Budget

Und gern können mich Ihre Leser:innen über die Kontaktmöglichkeiten anschreiben, wenn Sie Fragen haben.

Herzlichen Dank für das kurzweilige Interview Frau Engel. Sie haben uns bereichernde Einblicke in Ihre Tätigkeit ermöglicht und wir wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute!

Kontaktdaten:

Rede.Engel
Claudia Engel
Weißdornweg 10
45133 Essen

Telefon: +49 171 1938252
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Buchtipp:
Trauer ist das Ding mit den Federn von Max Porter, ISBN-10: ‎ 3446249567 / ISBN-13: ‎ 978-3446249561
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