Mitternachtsmission Teil 1: Hilfe und Beratung von Sexarbeiter:innen

Mitternachtsmission Teil 1: Hilfe und Beratung von Sexarbeiter:innen

Andrea Hitzke ist Sozialarbeiterin und leitet seit 2012 die Dortmunder Mitternachtsmission e.V., die eine Beratungsstelle für Prostituierte, ehemalige Prostituierte und die Opfer von Menschenhandel unterhält. Der Verein ist bundesweit anerkannt und Mitglied im Dachverband des Diakonischen Werks.

Hallo Andrea, herzlichen Dank für Deine Zeit, uns ein Interview zu geben. Bitte erzähle unseren Leser:innen, was macht die Mitternachtsmission eigentlich?

Die Dortmunder Mitternachtsmission e.V. macht sich für die sozialrechtliche Gleichstellung aller in der Prostitution arbeitenden Menschen und für die Beendigung von Diskriminierung und Kriminalisierung stark. Wir helfen unseren Klient:innen, ein gesundes, selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Leben in Sicherheit zu führen. Sie sollen sich frei von Angst bewegen und ihre Entscheidungen ohne finanzielle und emotionale Abhängigkeit treffen können.

Wir sind ein kleiner gemeinnütziger Verein, der im Jahr 1918 gegründet wurde. Wir missionieren nicht. Wir verstehen unseren Namen als Auftrag: wir beraten und unterstützen Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind, helfen jenen beim Ausstieg, die eine andere berufliche Perspektive wollen, und wir bieten Schutz und Hilfe für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsprostitution.  

Der Schwerpunkt der Arbeit mit Prostituierten liegt in der aufsuchenden Sozialarbeit, das heißt Streetwork an den Orten wo Sexdienstleistungen angeboten werden, wie z. B. auf der Straße, in Clubs oder Bordellen.

Unsere Arbeit besteht aus zwei Hauptbereichen, die wir unbedingt getrennt sehen: Die Arbeit mit Prostituierten und die Hilfen für Opfer von Menschenhandel.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist das Hilfeangebot für Kinder und Jugendliche, die der Prostitution nachgehen. Das Angebot überschneidet sich zwar mit der Prostituiertenhilfe und der Hilfe für Opfer von Menschenhandel, doch die Minderjährigkeit der Zielgruppe schafft andere Rahmenbedingungen, daher betrachten wir diesen Bereich separat.

Die Prostituiertenhilfe umfasst sowohl die Beratung und Unterstützung von Menschen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen freiwillig für die Sexarbeit entschieden haben, als auch Hilfe für diejenigen, die aus dem Milieu aussteigen wollen.  

In der Prostitution arbeitende Menschen sehen sich häufig Diskriminierungen ausgesetzt und sind aus diesem Grund eher misstrauisch. Wie erreicht ihr die Prostituierten?

Unsere Streetworkerinnen sind ausgebildete Sozialarbeiterinnen und Pädagoginnen. Wir gehen dort hin, wo die Prostitution stattfindet. Wir kommen ins Gespräch mit den Frauen und bauen Vertrauen auf. Wir beraten vor Ort und bieten Hilfe an. Wir verteilen Kondome und klären im Bereich sexuell übertragbarer Infektionen auf. Wir helfen natürlich auch, wenn wir von Männern oder Transgender-Personen aus der Zielgruppe angesprochen werden.

Vor Corona waren wir zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten in den Clubs, Bars und Bordellen und auf dem Straßenstrich unterwegs, um mit den Sexarbeiter:innen zu sprechen. Mit dem Einsatz von mehrsprachigen Mitarbeiterinnen versuchen wir Sprachbarrieren zu überwinden und auch Prostituierte ohne Deutschkenntnisse zu erreichen.

Jetzt ist Coronazeit und das Kontaktverbot hat das gesamte Milieu lahmgelegt. Wie hast Du diese Einschnitte wahrgenommen und wie hat sich die Arbeitsweise verändert?

Das Corona bedingte Kontaktverbot hat die Prostitution zum Erliegen gebracht. Sexuelle Dienstleistungen sind verboten und die meisten Prostituierten haben seit März 2020 keinerlei Einkünfte mehr. Die Verzweiflung bei den Betroffenen ist unfassbar. Viele haben ihre Rücklagen aufgebraucht, um die Familie weiter ernähren zu können. Wertsachen werden verkauft, um über die Runden zu kommen. Wer seine Scham überwunden hat, konnte anfangs noch recht einfach einen Hartz IV Antrag stellen. Nun sind die Bedingungen für einen Sozialleistungsbezug deutlich schwieriger geworden. Teilweise werden Nachweise verlangt, die die Sexarbeiter:innen nicht beibringen können. Somit fallen sie aus dem Sozialleistungsbezug raus. Dies gilt auch für die Soforthilfen für Soloselbständige.

Ohne Hart IV fehlen sämtliche Einkünfte, die Miete kann nicht mehr bezahlt werden und Obdachlosigkeit ist eine der Folgen. Andere haben sich Geld leihen müssen und sind in Schuldenfallen geraten. Viele arbeiten illegal und unter unsicheren Arbeitsbedingungen, um ihre Familien versorgen zu können.

Einige Bordellbetriebe haben den wohnungslos gewordenen Prostituierten ihre Zimmer kostenlos zur Verfügung gestellt, damit sie eine sichere Unterkunft haben. Das ist ein Lichtblick, zumal die Betreiber:innen ja ebenfalls keine Einnahmen generieren können.

Mit dem Lockdown mussten wir unsere Arbeit umstrukturieren. Die Besuche vor Ort in den Clubs und Bordellen waren nicht mehr möglich, da sie geschlossen sind. Der Beratungs- und Unterstützungsbedarf war aber sehr hoch. Um auch die Mitarbeiterinnen zu schützen, wird Beratung überwiegend telefonisch oder per E-Mail durchgeführt, wenn das möglich ist. Das funktioniert aber nicht immer, so dass eine Face-to-Face Beratung notwendig ist. Dann können Termine vereinbart werden, entweder in der Beratungsstelle oder z. B. bei Hausbesuchen oder bei Beratungsspaziergängen. In der Beratungsstelle arbeiten wir nach einem Arbeitsplan und sonst im Homeoffice. 

Was sind die Gründe für den Einstieg in die Prostitution und worum geht es bei der nachgehenden Ausstiegshilfe für Prostituierte?

Einige Frauen entscheiden sich aus einer finanziellen Notlage heraus, in den Dienstleistungssektor zu gehen. Oft wissen die Angehörigen nichts davon und die Prostituierten sehen sich ständig der Gefahr ausgesetzt, dass die Tätigkeit entdeckt wird. Dann müssen sie mit Diskriminierung und Verachtung rechnen.

Häufig geht es auch um die Beschaffung von Geldmitteln für den Kauf von Drogen. Diese Frauen sehen sich selbst nicht als Sexarbeiterinnen. Sie entscheiden sich für diesen Weg an Geld zu kommen, statt Raubüberfälle zu begehen und damit in die Beschaffungskriminalität zu rutschen.

Mit der nachgehenden Ausstiegshilfe unterstützen wir Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen oder bereits ausgestiegen sind. Wir begleiten z. B. bei Behördengängen, unterstützen bei der Jobsuche und führen die Begleitung der Frauen auch über einen längeren Zeitraum durch.

Aktuell gibt es eine hitzige Diskussion um das „Schwedische Modell“. Was ist das und wie stehst Du dazu?

Das „Schwedische Modell“ soll Prostitution verhindern, indem u. a. der Kauf von sexuellen Dienstleistungen unter Strafe gestellt wird, um die Frauen vor Gewalt zu schützen. Wir fürchten, dass bei einer Einführung dieses Modells die Prostituierten in ein Dunkelfeld und die Illegalität gedrängt werden, sich die Arbeitsbedingungen verschlechtern und das Risiko für die Sexarbeiter:innen steigt, Opfer von Gewalt, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden. Die Nachfrage wird dadurch nicht verschwinden. Die Kontaktaufnahme durch das Unterstützungssystem wäre nur noch sehr schwierig oder gar nicht möglich. Man könnte das Modell mit der Prohibition vergleichen. Wem hat sie letztendlich genutzt? Aufgrund der nicht versiegenden Nachfrage konnte die Mafia hohe Gewinne erzielen.

Liebe Andrea, herzlichen Dank für den Einblick in den Bereich der Prostituiertenhilfe. Wir wünschen Dir und Deinem Team weiterhin viel Erfolg.

Hinweis der Redaktion: Teil 2 des Interviews, in dem es um die Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und Zwangsprostitution geht, erscheint demnächst in diesem Magazin.

Kontakt zur Dortmunder Mitternachtsmission e.V.

Dortmunder Mitternachtsmission e. V.
Dudenstraße 2-4
44137 Dortmund
Tel.: 0231/14 44 91
Website: http://mitternachtsmission.de/

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Restlos glücklich

Restlos glücklich

Weihnachten ist vorbei! Die Tage der Festessen und des Überflusses liegen hinter uns und viele Menschen sind mit neuen Vorsätzen ins Jahr gestartet. Eine gute Idee dafür haben wir im Mittagsmagazin gefunden: Lebensmittel wertschätzen und damit die Welt ein bisschen besser machen! In der Sendung vom 07.12.2020 berichtet Hanna Legleitner vom Verein „Restlos Glücklich“ über ihre Art, das Weltklima zu verbessern.

Ressourcenverschwendung durch weggeworfene Lebensmittel

In Deutschland landen jedes Jahr 75 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll, dadurch werden wichtige Ressourcen vernichtet. Hanna ist seit 4 Jahren Foodsaverin. Sie und ihre Mitstreiter:innen retten aussortierte, aber noch verwendbare Lebensmittel in großen und kleinen Supermärkten und Betrieben. Einen kleinen Teil behalten sie für sich, alles andere bringen sie in sogenannte „Fair-teiler“, öffentlich zugängliche Kühlschränke der Initiative Foodsharing. Hier dürfen die Lebensmittel gratis mitgenommen werden.

Der Verein „Restlos Glücklich“

Hanna Legleitner ist Geschäftsführerin des gemeinnützigen Vereins „Restlos Glücklich“ aus Berlin, der sich für mehr Wertschätzung und gegen die Verschwendung von Lebensmitteln engagiert. Mit Vorträgen, Events und digitalen Kochworkshops (Anmeldung) soll das Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln gestärkt und mehr Menschen fit gemacht werden, sich im Alltag nachhaltig zu ernähren.

Der Beitrag vom „ZDF Mittagsmagazin vom 07.12.2020“ ist leider abgelaufen.