Wenn alle Menschen in eine Schublade gesteckt werden, wird die innenwohnende Dramatik selten wahrgenommen, doch emotional docken wir schnell an: „Sind alle jungen Menschen heute nicht in der Lage, zu arbeiten, im realen Laden einzukaufen oder soziale Interaktionen zu betreiben?“
Was bewirken Generalisierungen, wem nutzen sie und was darf zur Kenntnis genommen werden, wenn sie in Gesprächen immer wieder als Stilmittel genutzt werden?

In meiner Wahrnehmung nimmt die Verallgemeinerung in der Kommunikation deutlich zu. Ob in der Berichterstattung, in Gesprächen oder in den Sozialen Medien, häufig geht es um Personengruppen, die mit einer oder mehreren Eigenschaften in Verbindung gebracht werden, die generalisierend wirken. Bei den Worten „jeder“, „immer“, „nie“, „alle“ oder „keiner“ werde ich hellhörig, dann geht es beispielsweise so weiter.

  • Immer sind es Frauen, die schlecht parken können!
  • Die jungen Menschen hocken doch alle nur noch vor dem Handy, die schreiben sich eher eine Nachricht als miteinander zu sprechen.
  • Du hörst mir nie zu!
  • Ab Ende 50 bekommt doch keiner mehr einen neuen Job, dann ist der Zug schon längst abgefahren.
  • Sobald das Studium abgeschlossen ist, fordert jeder Bewerber ein völlig überzogenes Jahresgehalt und will nur 30 Stunden in der Woche arbeiten.

Die Liste lässt sich beliebig weiterführen, doch ich möchte auf zwei unterschiedliche Aspekte besonders hinweisen: die Vor- und die Nachteile von Generalisierungen.

Nachteile von Generalisierungen

Die eben genannten Beispiele sind eher negativ und sollen zu einer bestätigenden Reaktion verleiten. Zusätzlich lassen sich diese Formulierungen gut nutzen, um (frech in den Raum gestellte) Behauptungen massiver und faktischer aussehen zu lassen. Ein Beispiel: „Die ganze Schule sagt, dass XY komisch ist – und Du hast das noch nicht gehört?“ Da wird der Gleichaltrige, der nicht in diese Mobbing-Mentalität einsteigen möchte, schon sehr in eine Ecke gedrängt. Gefühlt muss er es beim Dagegenhalten mit der ganzen Schule aufnehmen. Oder er fügt sich in die angebliche Gruppendynamik, um nicht als Außenseiter dazustehen.

Eine Ableitung aus dieser generalisierenden Aussage über alle Schüler könnte plötzlich in Elternforen auftauchen: „Auf der Schule XY wird grundsätzlich viel gemobbt. Da möchte ich mein Kind nicht hinschicken.“ Die Schule bekommt einen schlechten Ruf, die Schüler werden nur ungern als Bewerber angenommen … usw.


Pauschale Urteile verknüpfen Menschen, Gruppen, Institutionen oder Unternehmen mit einer Eigenschaft, durch die sie dann – häufig ausschließlich – definiert werden. Das kann positiv („Die Deutschen sind immer pünktlich.“) oder auch negativ sein („Die Politiker halten sich doch sowieso nicht an ihre Wahlversprechen“).  Und schon werden alle über einen Kamm geschoren, völlig egal, ob die allgemeinen Aussagen zutreffen oder nicht.

Wer in Verallgemeinerungen denkt, trifft vielleicht falsche Entscheidungen. Wichtige Details bleiben unberücksichtigt, weil der Blick durch die Generalisierungsbrille getrübt wurde.

Ein Mitarbeiter fühlt sich vermutlich ungerecht behandelt, wenn er als unmotiviert beschrieben und (unbegründet) vom Chef mit allen Abteilungskollegen in einen Topf geworfen wird. Wird seine individuelle Motivation übersehen, kann das kann zu Konflikten und Missstimmungen führen, die aufwendig wieder gelöst werden müssen.   

Wird ein Kind ständig damit aufgezogen, dass es tollpatschig ist, wird sich die Aussage in seinem Denken festsetzen: „Ist ja klar, dass mir das passiert, ich bin ja auch ein Tollpatsch!“ Was aus einer Situation entstanden ist, hat sich auf einmal verselbstständigt, beeinträchtigt das Selbstwertgefühl und kann große Auswirkungen auf gesellschaftliche Interaktionen mit sich bringen.

Ungeschickte Frau verschüttet etwas, während sie einem Mann in der Küche Tee einschenkt.

Wie entkommen wir der Generalisierungsfalle?

Wir können unsere eigene Wortwahl überprüfen und Formulierungen wie „manche“ (statt „alle“), „einige“ (statt „jeder“), „häufig“ (statt „immer“) oder „selten“ (statt „nie“) nutzen. Wir können die Behauptung hinterfragen: „Wer sagt denn genau, dass XY komisch ist?“ und uns an belegbaren Fakten orientieren.

Ein Perspektivwechsel ist ebenfalls hilfreich: Wie sieht sich der Mensch wohl selbst, der dieser Gruppe zugeordnet wurde? Hat er nicht auch andere Eigenschaften? Vielleicht teilen wir auch einige Vorlieben, z. B. unsere Liebe zum Sport? Wie würden wir uns begegnen, wenn wir uns dort das erste Mal treffen würde?

Versucht man, diesen Menschen als Individuum zu sehen, verändert sich die bisherige „Klassifizierung“: Leben seine Eltern noch, hat er Kinder, ein Hobby, in dem er aufgeht, wo verbringt er seinen Urlaub?

Vorteile von Generalisierungen

Ja – Du hast richtig gelesen. Es gibt sie, die positiven Aspekte der Verallgemeinerung.

Sie sparen Zeit, da viele Details nicht erklärt werden müssen. „Alle Schüler gehen nach dem Gong in ihre Klassenzimmer.“ Jeder wird sich die Klassenräume vorstellen können und weiß was gemeint ist. Auch wenn diese unterschiedlich sein könnten (Größe, Wandfarbe, Standort des Lehrerpults …), wäre das in dieser Aussage unwichtig.

Generalisierungen vereinfachen z. B. komplizierte Themen, wie „Stress macht krank“. Dahinter steckt medizinisches Fachwissen, aber durch die Verallgemeinerung bekommt der Laie einen Bezug dazu und kann das leicht verinnerlichen. Ebenso vereinfachen hilfreiche Faustregeln, wie „Starte Deinen Rechner wieder neu, wenn er Probleme macht.“  oder „Wenn Du Fieber hast, gönne Dir Ruhe und trinke viel.“, grundsätzliches Wissen leicht zu verankern.

Wir können über eher positive Generalisierungen aus bereits gemachten Erfahrungen lernen, um sie später auf ähnliche Situationen anwenden zu können.

Wie ist das mit KI?

Auch KI-Systeme (Künstliche Intelligenz) arbeiten mit Generalisierungen. Im Glossar des KI-Echo’s steht es wie folgt: „Die Generalisierung ist eines der wichtigsten Ziele in der KI. Sie bezieht sich auf die Fähigkeit eines KI-Systems, aus Erfahrungen zu lernen. Das System nimmt das Wissen und die Erkenntnisse, die es während des Trainings erworben hat, und wendet sie auf neue, unbekannte Probleme oder Situationen an. Die Fähigkeit zur Generalisierung ist das, was ein KI-Modell nützlich macht und verhindert, dass Systeme nur auf bestimmte Aufgaben beschränkt sind.“

Ich habe dazu ein schönes Beispiel. Wenn ich mit dem Navi in einen Stadtteil von Dortmund fahren möchte, sagt mir die Stimme an bestimmten Stellen, dass ich die „Abfahrt Donnerstag-Mengede“ nehmen soll. Anstatt die Beschilderung „DO-Mengede“ in den richtigen Kontext zu stellen, haben die antrainierten Generalisierungsmechanismen festgestellt, dass „DO- “ höchstwahrscheinlich „Donnerstag“ heißt, was mir dann ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Dennoch – beim Navigieren kann das sicher vernachlässigt werden, wenn man sich in der Region, in der man gerade unterwegs ist, auskennt. Aber was bedeutet das bei anderen Interaktionen mit der KI, wo die Verallgemeinerungen nicht so offensichtlich erkennbar sind?

Vielleicht haben wir das gut gelernt und im Hinterkopf …

Frau bedient während der Fahrt das Touchscreen-Navigationssystem am Armaturenbrett eines Autos und verwaltet Wegbeschreibungen und Routen

Fazit

Wenn mir auffällt, dass alle über einen Kamm geschoren werden, versuche ich, meine Mitmenschen darauf hinzuweisen. Das hat in der Vergangenheit auch zu Gesprächsabbrüchen geführt: „Du weißt doch, wie ich das meine!“ – Und ganz ehrlich – vielleicht weiß ich das, vielleicht aber auch nicht.
Dennoch möchte ich mich diesen globalen Aussagen ungern anschließen und lasse es selten auf sich beruhen. Doch jeder Einwand – egal ob das Gespräch weitergeht oder nicht – hilft mir, daran zu denken und meine Wortwahl ständig auf den Prüfstand zu stellen. Das geht bestimmt immer noch etwas besser 😊.

Weitere interessante Links:

Wikipedia Übersichtsseite „Generalisierung“

Artikel auf Karrierebibel.de: „Generalisierung: Komplexe Äquivalenz lösen“

Dorsch – Lexikon der Psychologie: Generalisation