Zeit zum Zuhören: eine Audio-Biographie für Jedermann

Zeit zum Zuhören: eine Audio-Biographie für Jedermann

Ein Interview mit Thomas Sell, Inhaber von „Zeit zum Zuhören“ aus Hamburg

Thomas Sell ermöglicht Menschen, die weder reich noch berühmt sein müssen, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Er hält diese Erzählung – wie ein Biograph – für die Nachwelt fest. Seine Kunden sind Menschen, die bewusst zurückblicken und ihr Leben, ihre Erfahrungen und ihre Wünsche formulieren möchten, um sie für Familien und Angehörige hörbar zu machen.

Hallo Thomas, wir wollen heute über Dein Herzensprojekt „Zeit zum Zuhören“ sprechen. Vor einigen Monaten habe ich in Berlin zum ersten Mal davon gehört. Bei unserem nächsten Treffen haben wir den heutigen Termin vereinbart, damit wir unseren Leser:innen etwas über Deine wundervolle, neuartige Initiative erzählen können. Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Zeit zum Zuhören“ und wie ist es zu Deinem Herzensprojekt geworden?

Die Idee für „Zeit zum Zuhören“ ist bereits seit langer Zeit in meinem Kopf und hat sich in den letzten Jahren immer weiter entwickelt. Herausgekommen ist eine neue Art der biographischen Arbeit, die für jeden erschwinglich ist. Ich höre zu, wenn Menschen ihre Lebensgeschichte erzählen, und halte sie in einer Audiodatei fest.

Die ersten Berührungspunkte hatte ich damit bereits im Jahr 2006. Meine Mutter war schwer krebskrank und wollte, da ihr nur wenig Zeit blieb, mit uns über ihren Tod sprechen. Mein Vater hielt verzweifelt an der Hoffnung fest, dass sich doch noch alles zum Guten wendet, und wollte sich der Situation nicht stellen. Doch sie sah das realistisch und es war ihr ein tiefes Bedürfnis, die Gedanken und Empfindungen mit uns zu teilen. Über das, was auf sie und uns zukommt, wie sie sich ihre Beisetzung vorstellt und weitere Dinge, die sie noch sagen wollte. Mein Vater konnte sich dieses Themas nicht annehmen und so lag es an mir, ihrem Wunsch nachzukommen. „Wir nehmen das Gespräch für deinen Vater und deinen Bruder auf“, stellte meine Mutter klar. Es war ihr wichtig, dass ihre Worte bei allen gleich ankommen.

Eine Woche vor ihrem Tod haben wir über ihr ganzes Leben gesprochen und über ihre Wünsche zur Beerdigung. Sie hat mir von ihrer Schulzeit, vom ersten Verliebt-sein und von der Hochzeit mit meinem Vater erzählt. Sie sprach über das Rezept von ihrem gedeckten Apfelkuchen, den sie so häufig gebacken hat, und von gemeisterten Schicksalsschlägen. Sie lächelte, während sie in ihren Erinnerungen schwelgte, währenddessen rückte die Krankheit in den Hintergrund.

Während der Corona-Pandemie wurde mir schmerzlich bewusst, dass wir – die Gesellschaft – das Zuhören verlernt haben. Alles ging nur noch online. In laufenden Video-Meetings wurden nebenbei E-Mails beantwortet und WhatsApp-Nachrichten geschrieben. Die Aufmerksamkeit splittete sich und jeder versuchte seinen eigenen Modus im Umgang mit dieser seltsamen Lebenswirklichkeit, zu finden. Keiner hatte mehr die Zeit, einem anderen Menschen konzentriert zuzuhören

Ich bedauerte die Entwicklung. Zu deutlich war mir noch in Erinnerung, wie sehr meine Mutter gestrahlt hatte, als ich mir die Zeit genommen habe, ihr meine volle Aufmerksamkeit zu widmen. Noch heute lasse ich ihre Stimme beim Backen des gedeckten Apfelkuchens in der Küche mitlaufen. Dann fühlt es sich an, als würden wir gemeinsam backen und das erfüllt mich mit großer Freude.

Damit war mein Entschluss gefasst. Ich wollte Lebensgeschichten aufnehmen und für die „Ewigkeit“ festhalten. Als Mann der Tat war die Website „Zeit zum Zuhören“ schnell gesichert und ich bekam viel Zuspruch zu dieser Idee aus meinem Umfeld. Im letzten Jahr konnte ich die Idee einem größeren Publikum vorstellen. Ich bin in den Ruhestand gegangen und habe mich aus meinen unterschiedlichsten Netzwerken verabschiedet. Bei diesen Veranstaltungen durfte ich dankenswerter Weise von meiner neuen Aufgabe erzählen und wieder waren die Rückmeldungen überaus positiv.

Anmerkung der Redaktion: Um die Vertraulichkeit zu wahren, hat die abgebildete Person keinerlei Verbindung zu den hier aufgeführten Geschichten.

Das kann ich bestätigen Thomas, denn schließlich haben wir uns auf deiner Verabschiedung kennengelernt. Wie können sich unsere Leser:innen ein solches Gespräch vorstellen? Du weißt im Vorfeld doch nie, was Dich erwartet. Was passiert auf der menschlichen Ebene und wie gehst Du mit den unterschiedlichen Reaktionen auf Deine Fragen um?

Ich frage nach glücklichen und schönen Momenten und was es immer wieder Neues im Leben gegeben hat. Ich frage nach den Eltern, der Kindheit, dem ersten Kuss, der großen Liebe, dem Partner fürs Leben, den Kindern und weiteren Ereignissen. Ich frage nach, was sie sich noch vorgenommen haben und was sie noch sagen wollen.

Ich lausche den wundervollen Erinnerungen, den traurigen Momenten und erschreckenden Geschichten, die mir dabei anvertraut werden. Manchmal sind es unfassbar lang bewahrte Geheimnisse, die das erste Mal laut ausgesprochen werden und eine große Belastung über die Jahre dargestellt haben.

Mir war vor diesen Gesprächen nicht klar, wie viele Frauen im Krieg vergewaltigt wurden und wie viele davon noch nie darüber gesprochen haben. Sie mussten damals funktionieren und haben es tief in sich vergraben. Für manche ist das wie ein Befreiungsschlag. Ich spürte die Erleichterung, die mein Gegenüber ergriff, als eine Frau nach dem Gespräch zu mir sagte: „Ich glaube, ich muss jetzt mit meinem Mann darüber sprechen! Jetzt erst kann ich das.“

Das sind Momente, die mich erkennen lassen, wie wichtig das Zuhören ist. Nur Zuhören ohne Be- oder Verurteilungen und ohne den Erzählenden mit Aha-Erkenntnissen zu behelligen. In den Gesprächen lachen und weinen wir gemeinsam. Das fühlt sich an, wie ein Stein, der befreit über die Wasseroberfläche hüpft und dabei viele Dinge lösen kann.

Eine andere Person fragte mich, ob sie etwas sagen könnte und ob das dann auf ihrer Trauerfeier abgespielt werden könnte. Als ich das bejahte sagte sie:

Wenn ihr mich jetzt hört, dann bin ich bereits verstorben. Ihr seid sicherlich alle sehr traurig, dass ich nicht mehr unter euch bin, aber ich möchte euch eins auf euren zukünftigen Weg mitgeben und dieses ist mir bewusst geworden, in einem langen Gespräch mit Zeit zum Zuhören.

Ich hatte ein wunderschönes Leben und dieses Leben war so wunderschön, weil ihr an meiner Seite wart. Ihr habt mit mir gelacht, ihr habt mit mir geweint. Ihr habt meine Hand gehalten, wenn ich traurig war. Ihr seid mit mir in den Urlaub gefahren. Wir haben gemeinsam gefeiert. Ich habe Witze erzählt und wir haben gemeinsam gelacht. Es war ein wunderschönes Leben, weil ich ein Teil eures Lebens sein durfte. Und deshalb möchte ich gerne, dass ihr jetzt die Augen schließt.

Ich werde jetzt euch drei Witze erzählen und ich möchte, dass ihr lacht und euch an einen Moment erinnert, an dem wir gemeinsam gelacht haben, und diesen Moment haltet ihr fest und immer, wenn ihr an mich denkt, denkt ihr bitte an diesen Moment. Ich bin sehr dankbar, dass ich ein Teil eures Lebens sein durfte. Danke.“

Ihr war es wichtig, dass die Hinterbliebenen wissen, dass sie in Frieden gegangen ist, sie sollen sie positiv in Erinnerung behalten und nicht voller Traurigkeit an sie denken.

In einem anderen Gespräch erzählte mir eine Großmutter mit leuchtenden Augen von den Spielen, die sie als Kind immer gespielt hatte. Als ihr kleiner Enkel die Aufnahme hörte, wollte er diese Spiele auf seinem Kindergeburtstag mit seinen Freunden ausprobieren und fragte seine Oma, ob sie die Schiedsrichterin sein könne. Die Großmutter rief mich danach dankbar an und erklärte mir, dass dieser Geburtstag einer der besten Tage in ihrem Leben war! Das das ist nur dadurch möglich gewesen, weil sie ihre Lebensgeschichte erzählte, als jemand da war, der zugehört hat.

Anmerkung der Redaktion: Um die Vertraulichkeit zu wahren, hat die abgebildete Person keinerlei Verbindung zu den hier aufgeführten Geschichten.

Das klingt wirklich interessant und ich kann mir vorstellen, dass das nicht jedem so gut gelingt. Kannst Du einschätzen, wie weit das mit Deiner eigenen Persönlichkeit, Deinem Alter und Deiner Lebenserfahrung zusammenhängt? Wie läuft das Gespräch ab und was machst Du, wenn das Gespräch beendet ist?

Ja, es sind viele bereichernde Momente, die ich in diesen Gesprächen erleben darf. Ermöglicht wird das durch meine Position als Außenstehender. Ich kann mitfühlen, aber bin frei von einer Bewertung. Meine Lebenserfahrung und die Reflektionsfähigkeit spielen sicher auch eine Rolle.

Meistens treffen wir uns bei Kaffee und Kuchen. Ich stelle das Mikro auf, um das Gespräch aufzuzeichnen und lasse es einfach durchlaufen. Ich achte darauf, dass wir in der Chronologie bleiben und der Fokus auf der Lebensgeschichte bleibt. Damit in den Emotionen nichts vergessen wird, habe ich einen Fragenkatalog erstellt, an dem ich mich orientieren kann.

Das Gespräch dauert ungefähr drei Stunden und wenn ich gehe, strahlen die Menschen über das ganze Gesicht. Sie hatten einen wunderbaren Nachmittag und haben sich wieder an schöne Momente erinnert, an die sie lange nicht gedacht haben. Sie sind entspannt, weil sie wissen, dass alles festgehalten ist, was sie sagen und weitergeben wollten.

Wieder Zuhause bearbeite ich die Aufnahme. Ich schneide auf Wunsch auch Passagen raus und erstelle das gewünschte Medium. Das kann ein Link zu der Audio-Datei oder die Audio-Datei auf einem USB-Stick sein, die ich meinem Gegenüber dann zukommen lasse. Auch wenn mich Angehörige mit dem Zuhören beauftragen, die Aufnahme steht allein dem Erzähler zu. Er allein entscheidet, was mit der Aufnahme geschehen soll.

Lieber Thomas, Du warst Dein ganzes Leben neben Deinem Job bei der Telekom auch selbstständig, hattest ein Reisebüro und bist auch selbst viel gereist. Daraus hast Du früher mediale Formate erstellt, die vielleicht den Weg für Deine neue Idee bereitet haben. Mit „Zeit zum Zuhören“ erstellst Du eine Audio-Biographie, die für die meisten Menschen oder Angehörige erschwinglich ist. Warum ist Dir das so wichtig?

Eine meiner Lebensweisheiten ist: „Nichts passiert ohne Grund – und der Grund ist immer positiv. Wenn er noch nicht positiv ist, dann habe ich noch nicht lange genug darüber nachgedacht.“

Wie eben schon erwähnt, habe ich viele Jahre gearbeitet, habe dadurch mein Auskommen und hatte bisher ein wunderschönes Leben. Die Initiative „Zeit zum Zuhören“ bietet mir die Möglichkeit etwas davon zurückzugeben. Ich möchte damit nicht reich werden, mir ist es wichtig Dinge zu tun, die mir Freude machen und die das Leben bereichern. Sowohl meines als auch das Leben der Familien und der Menschen, die mich an ihrer Lebensgeschichte teilhaben lassen.

Früher konnten sich nur die wenigsten Menschen eine Biographie erstellen lassen. Eine solche Arbeit wurde eher von bekannten Persönlichkeiten beauftragt, denn sie kostet viel Zeit und Geld. Daher gefällt mir dieses Format der Audio-Biographie so gut. Man investiert einige Stunden, hat eine schöne Zeit und eine festgehaltene Lebensgeschichte, sogar zu einem erschwinglichen Preis. Durch diese Aufnahmen können Menschen weiterleben, auch wenn sie nicht mehr auf dieser Welt sind. Das habe ich seit dem Tod meiner Mutter verstanden.

„Zeit zum Zuhören“ bewahrt Geschichten und „Lebenswerke“, die Familien ein leichteres Miteinander bescheren und für gegenseitiges Verständnis sorgen. Sie bringen der Gesellschaft einen Mehrwert, denn wir können alle aus der Vergangenheit lernen.

Zudem engagiere ich mich ehrenamtlich. Ich arbeite gemeinsam mit Dagmar Hirche im Projekt Wege aus der Einsamkeit und biete Palliativ-Patienten kostenfrei Zeit zum Zuhören an. Doch in diesen Fällen vertraue ich auf die Ärzte, die entscheiden, ob die Patienten in der Verfassung sind und die Kraft haben, die Zeit gut durchzustehen.

Ebenso ist es mir ein Bedürfnis, Vorträge für Palliativ-Personal zu halten. Darin spreche ich darüber, wie sie bei ihren Patient:innen Erinnerungen wecken können.

Als ich mit meiner Schwiegermutter über ihre Lebensgeschichte gesprochen habe, haben sich die Gedanken an das Leben vor der Krankheit sehr positiv auf die gesundheitliche Verfassung ausgewirkt. Durch die Erinnerungen werden Gedanken-Anker in das „gesunde“ Leben geworfen und das können die Pflegekräfte und Ärzte ebenfalls in ihre Gespräche mit den Patient:innen integrieren. Ohne diese Gedanken-Anker, überdecken wenige Jahre Krankheit und Schmerzen, eine weit größere Zahl an Jahren mit positiven Erinnerungen.

Lieber Thomas, es ist beeindruckend, mit welcher Energie Du diesen Weg gehst und damit Win-Win-Situationen etablierst. Denn Zeit zum Zuhören hast Du als Franchise-Konzept aufgebaut. Was hat Dich in diese Richtung denken lassen und wie gestaltet sich das?

Für mich sind diese Biographie-Gespräche ein wichtiges Werte-Thema, das mich dauerhaft begleitet. Ich wohne in Hamburg und suche daher Menschen, die sich vorstellen können, Zeit zum Zuhören als Franchisenehmer in ihrer Stadt oder Region anzubieten. Die positiven Rückmeldungen der letzten Monate haben mich dazu bewogen, für diese Win-Win-Situation zu sorgen. Inzwischen habe ich für die Region Münster jemanden gefunden. Klaus Wegener ist auch ein sehr empathischer Mensch und ich sehe, dass Klaus „Zeit zum Zuhören“ in seiner Region mit viel Leidenschaft anbietet.

Die Aufgabe ist für viele Menschen lebensbereichernd und bietet eine schöne Abwechslung im Ruhestand oder ist als Aufgabe in Verbindung mit einem Teilzeitjob denkbar. Manche Menschen brauchen ein Ziel, um aus dem Haus zu gehen, mit anderen Menschen zu sprechen und sich mit „neuen“ Dingen zu beschäftigen. Das Konzept beinhaltet viel Potential für eine neue Lebensqualität und ist mit überschaubaren Kosten verbunden.

Gleichzeitig ermöglichen wir mehr Menschen, ihre Geschichten zu erzählen, diese gemeinsam zu reflektieren und sie dabei für sich selbst und andere festzuhalten. Ich freue mich, wenn sich Menschen melden, die in ihrer Region ebenfalls „Zeit zum Zuhören“ anbieten möchten. Sie brauchen mir nur eine E-Mail schreiben, dann tauschen wir uns aus. Ich freue mich darauf.

Das klingt hervorragend und ich denke, dass unsere Leser:innen den Impuls gern aufgreifen oder an mögliche Interessierte weiterleiten werden. Doch lass mich Dir noch eine Frage stellen: Was kostet es, wenn ich mit Dir ein Lebensinterview führen möchte?

Alles in allem sind es 400 € für jedes Lebensinterview – unabhängig davon wie viele Stunden es dauert.

Herzlichen Dank für das tolle Gespräch, lieber Thomas. Zeit zum Zuhören ist eine wunderbare Idee und eine wichtige Initiative, bei der wir hoffen, dass das Angebot bald in allen großen Städten verfügbar sein wird. Wir drücken die Daumen und wünschen Dir und dem gesamten Team ganz viel Erfolg.

Kontaktdaten:

Zeit zum Zuhören kannst Du in den Regionen Hamburg und Münster erreichen:

Kontaktdaten Hamburg:

Thomas Sell
Herbert Weichmann Str. 30
22085 Hamburg
Telefon und WhatsApp: +49 171 55000 05
E-Mail
Website
LinkedIn
Instagram
Facebook
TikTok @zeitzumzuhoeren (Die Verlinkung reichen wir Ende Dezember nach.)

Kontaktdaten Münster:

Klaus Wegener
Josef-Suwelack-Weg 38
48167 Münster
Telefon und WhatsApp: +49 176 622 982 19
E-Mail
Website Region Münster

Ein Leben wie im Sturm

Ein Leben wie im Sturm

Die Deutschen Kinderhospiz Dienste (DKD) stehen an der Seite von Familien, die ein lebensverkürzend erkranktes Kind haben.

„Es ist einfach alles zu viel und es ist kein Ende in Sicht – ich kann einfach nicht mehr und mache trotzdem weiter, es macht ja kein anderer“.

Die Frau, die das gesagt hat, hat ein lebensverkürzend erkranktes Kind. Im Klartext: Sie ist Mutter eines Kindes, das vermutlich sterben wird, bevor es erwachsen ist. Aber bis dahin hat das Kind, hat die Familie einen Alltag. Einen schweren, bis an die Grenzen und oft darüber hinaus belastenden Alltag. Mit Schulbesuchen, Arztbesuchen, Pflege des kranken Kindes und der Fürsorge für die gesunden Geschwister. Einen Alltag, in dem sich die Eltern fühlen wie Anfänger-Skipper im Sturm auf einem Segelboot, das ein Leck hat.

Es ist ein Alltag, in dem ambulante Kinderhospizarbeit, wie sie zum Beispiel unter dem Dach der Deutschen Kinderhospiz Dienste angeboten wird, helfen kann: Denn über sie kommen gut ausgebildete Ehrenamtliche regelmäßig in die betroffenen Familien, bringen Abwechslung, Lebensfreude und Zeit für etwas Selbstfürsorge der Eltern mit.

Die Besuche sind heiß ersehnt!

Das ist oft ein heiß ersehnter Besuch: Da kommt jemand, der mit allen Uno spielt. Oder der mit auf den Spielplatz geht. Da ist jemand, der Zeit zum Vorlesen hat. Oder für eine Bootsfahrt. Oder einen Ausflug. Ganz so wie es sich das Kind und die Familie wünschen.

Das sind doch alltägliche Freuden, sollte man meinen. Aber für die betroffenen Familien sind es Sternstunden. Ein Ausflug mit der ganzen Familie ist zum Beispiel oft undenkbar: Der Aufwand zu groß, das Auto zu klein für den Rollstuhl und was macht man, wenn der mehrfach schwer behinderte mannsgroße Jugendliche unterwegs eine neue Windel braucht?

Mühsamer Alltag

Also bleibt die Familie in der Regel in ihren vier Wänden. Die Mütter kämpfen sich durch ihren Alltag, für sie ist es undenkbar, ihre gesunden Kinder zu Freunden, zum Sport, zum Musikunterricht zu bringen, wie es für andere Mütter normal ist. Sie sind es, die in der Regel den Alltag allein stemmten, sie sind im Zweifel Tag und Nacht im Einsatz. Ihre einzige Pause: Die Zeit, wenn der Besuch vom Kinderhospizdienst kommt.

Darüber hinaus haben die Familien noch viele weitere Probleme: Da sind die finanziellen Auseinandersetzungen mit den Kostenträgern, da fehlen Informationen zu Hilfsmitteln, die den Alltag und die Pflege des kranken Kindes erleichtern. Da ist die oft erfolglose Suche nach spezialisierten Ärzten, Pflegediensten, therapeutischen Angeboten und und und. Die hauptamtlichen Mitarbeiter:innen der Dienste helfen hier jederzeit weiter und unterstützen als Lots:innen.

Hört sich doch gut an. Aber die traurige Wirklichkeit ist, dass weniger als zehn Prozent der rund 50.000 betroffenen Familien in Deutschland kinderhospizlich begleitet werden. Und viele Familien haben auch gar keine Chance auf Hilfe, weil der nächste Hospizdienst unerreichbar weit entfernt ist. Das lässt sich nur durch die Gründung neuer Dienste verbessern.

Kostenlose Hilfe für die Familien

Selbst wenn es einen ambulanten Kinderhospizdienst in der Nähe gibt, bleiben die Familien oft allein. Denn sie wissen nicht, dass es diese Hilfe gibt oder dass sie ihnen zusteht und dass diese für sie kostenlos ist.

Die Deutschen Kinderhospiz Dienste sind dabei, diese Situation zu ändern. Mithilfe eines Netzwerkes, zu dem Schulen, Kindergärten und andere Institutionen, zu denen die Familien ohnehin Kontakt haben, gehören. Mit Aktionen und Informationen, mit Präsenz und aktiver Hilfe: All das trägt dazu bei, dass Kinderhospizarbeit immer mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit dringt – und die Hilfe damit auch für die betroffenen Familien sichtbar wird.

Ein Konzept, das Erfolg hat: In Dortmund wurde 2018 durch den neuen, privaten Trägerverein Forum Dunkelbunt e. V. der erste Dienst gegründet und dort innerhalb eines Jahres zu einer sicheren Stütze der Kinderhospizarbeit. Bochum, Frankfurt, Regensburg und Schwerin folgten.

Doch damit ist der Bedarf noch lange nicht gedeckt. Bis es so weit ist, dass eine bedarfsgerechte Versorgung in Deutschland in Präsenz sichergestellt ist, hilft unter anderem das Online-Familien-Netzwerk „You never walk alone“ der Deutschen Kinderhospiz Dienste, in dem eine betroffene Mutter betroffene Familien vernetzt, informiert und ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht. Zum Beispiel bei der Suche nach einer Stiftung, die ein rollstuhlgerechtes Auto für eine Familie finanziert, die sich ansonsten ein solches Fahrzeug nie leisten könnten. Damit auch Familien mit einem lebensverkürzend erkrankten Kind wieder Ausflüge machen können, vielleicht sogar einen Urlaub.

Familienurlaub – durch eine Betreuung im Kinderhospiz

Urlaub? Wie soll das gehen mit einem Kind, das intensive Pflege braucht, vielleicht sogar rund um die Uhr oder mit Beatmung?

Dafür gibt es stationäre Kinderhospize. Es sind – anders als Erwachsenenhospize – keine Häuser für die letzten Lebenswochen, sondern Entlastungseinrichtungen für die Familien. Die Häuser sind medizinisch und pflegerisch optimal ausgestattet. Für viele Familie sind die Kinderhospize die einzige Chance, ihr krankes Kind von Fremden betreuen zu lassen – und so endlich einmal Zeit für sich und die anderen Kinder zu haben. Doch auch hier wiederholt sich das Drama der Kinderhospizarbeit: Die Kapazitäten reichen gerade, um jeder zehnten Familie eine Woche Urlaub im Jahr zu ermöglichen, obwohl es für jedes erkrankte Kind einen Anspruch auf vier Wochen kostenlosen Aufenthalt in einem stationären Kinderhospiz gibt.  

Kinderhospizarbeit lebt von Spenden

Für die Familien sind die kinderhospizlichen Angebote kostenlos. Doch finanziell ist die Versorgung mit kinderhospizlichen Leistungen nicht gesichert. Die Kostenerstattungen der Krankenkassen decken nur rund 20 bis 30 Prozent der Ausgaben, die in den Diensten allein für die Begleitung der erkrankten Kinder anfallen.

Aber die Ausbildung der Ehrenamtlichen, die Bezahlung der Hauptamtlichen, die Miete, das Telefon und der Strom: All das kostet Geld.

Damit Geschwisterkinder nicht zu kurz kommen

Die Deutschen Kinderhospiz Dienste kümmern sich darüber hinaus intensiv um die Geschwister der kranken Kinder, die oft zurückstecken müssen. Da gibt es Gruppen, in denen sich die Kinder treffen und zusammen etwas unternehmen, sei es Klettern, Kanufahren oder Theater spielen. Immer begleitet von Ehrenamtlichen, die sie von zuhause abholen und auch zurückbringen. Oder auch Mentoren, die ein Geschwisterkind regelmäßig besuchen und eine Beziehung zu ihm aufbauen. Denn die gesunden Kinder haben ihren kranken Geschwistern gegenüber oft widerstreitende Gefühle, mit denen sie allein nicht gut zurechtkommen. Da hilft es, wenn jemand von außen kommt, einfach da ist und zuhört.

All das kostet Geld. Geld, das private Spender, Institutionen, Stiftungen und Unternehmen geben, um eine umfassende kinderhospizliche Arbeit überhaupt möglich zu machen. Ohne diese Unterstützung ist die Kinderhospizarbeit nicht machbar. 

Weitere Informationen

Wenn Du die Kinderhospizarbeit der Deutschen Kinderhospizarbeit unterstützen willst, kannst Du hier spenden: Spendenkonto Deutsche Kinderhospiz Dienste | IBAN DE87 4416 0014 6576 7958 04. Und wenn Du Dich weiter informieren willst, schau auf unserer Website.

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Die Autorin: Irene Steiner, Deutsche Kinderhospiz Dienste, Teamleitung Öffentlichkeitsarbeit

Engagement für Menschen, die keine Stimme haben: Das war eins der Motive, die mich 2019 zum damals neu gegründeten Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Löwenzahn geführt haben. Das war gegen Ende meiner Berufstätigkeit: Ich bin studierte Wirtschaftswissenschaftlerin und habe dann 35 Jahre als Redakteurin bei einer regionalen Tageszeitung gearbeitet.

2019 ließ ich mich zur ehrenamtlichen Kinderhospizbegleiterin ausbilden und begleite seitdem ein lebensverkürzend erkranktes Mädchen aus Afghanistan, das inzwischen elf Jahre alt ist.  Wöchentlich verbringe ich zwei bis drei Stunden mit ihr, erlebe ihre Lebensfreude, aber auch die alltägliche Not der Familie und weiß daher, wie wichtig ambulante Kinder- und Jugendhospizarbeit ist. Ich weiß aber auch, dass das kinderhospizliche Angebot in Deutschland den tatsächlichen Bedarf bei Weitem nicht deckt. Dass es viele Familien gibt, die ihren schweren Alltag allein meistern müssen, obwohl ihnen Unterstützung zusteht.

Um das zu ändern, engagiere ich mich nun in dem bundesweiten Projekt Deutsche Kinderhospiz Dienste. Ich habe 2020/21/22 bei der Gründung der neuen ambulanten Kinderhospizdienste mitgeholfen und koordiniere nun die anstehenden Aufgaben innerhalb der Öffentlichkeitsarbeit.

Irene Steiner
Deutsche Kinderhospiz Dienste
Märkische Str. 60
44141 Dortmund
Telefon: 0231- 99 99 75 10
Mobil: 0178 – 119 82 16
E-Mail 
Website Deutsche Kinderhospiz Dienste

Der Trägerverein Forum Dunkelbunt:
Website Forum Dunkelbunt
Facebook Forum Dunkelbunt
Instagram @forumdunkelbunt

Die Kraft der Introvertiertheit

Die Kraft der Introvertiertheit

Wenn man die Stille mag. Wenn man gern für sich ist. Wenn man die Einsamkeit willkommen heißt. Der Artikel der introvertierten Eva Lohmann im Onlinemagazin Edition F zeigt eine Perspektive auf, die im Alltag unsichtbar bleibt.

Introvertiert zu sein fühlt sich zum Teil an, als wäre man falsch, so ganz anders als alle anderen um einen herum. Warum? Weil man anders agiert als ein großer Teil der Mitmenschen. Wie zieht man sich zurück? Wie erklärt man seiner Familie, dass man Zeit für sich und auch wirkliche Ruhe braucht? Welcher Druck baut sich in einem auf, wenn sich auf der Suche nach Stille Gedanken breit machen, die ein schlechtes Gewissen der Familie gegenüber heraufbeschwören?

Eva las den Artikel „Caring for your Introvert“ von Jonathan Rauch im „the Atlantic“ und gewann eine wichtige Erkenntnis. Introvertierte Menschen verlieren beim Zusammenkommen mit anderen Menschen ihre Energie, da sie viele Eindrücke aufnehmen und verarbeiten müssen. Um wieder aufzutanken, sind das Alleinsein, die Konzentration auf sich selbst, notwendig. Extrovertierte Menschen gewinnen Kraft aus der Anwesenheit und dem Austausch mit anderen Menschen. Sie verlieren Energie, wenn sie allein sind.

In der Familie ist es doppelt schwer, sich die Freiräume zum Auftanken der Kraftreserven zu schaffen – und das, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Eva Lohmann hat das Buch „So schön still“ (Rowohlt-Verlag) geschrieben und berichtet darin über die Stärke introvertierter Kinder und Eltern. Sie macht deutlich, dass es auch gute Wege für Introvertierte gibt, die in der Familie funktionieren können.

Den gesamten Artikel findest Du unter dem Titel „Die Sehnsucht nach Einsamkeit ist wie Durst“ – die Kraft des Introvertiertseins auf Edition F.

Gesund und munter trotz „Nein!“

Gesund und munter trotz „Nein!“

Was ist nur mit mir los? Diese Frage taucht auf, wenn man sich in der Wir-bleiben-Zuhause-Zeit selbst zuhört. Das häufig ausgesprochene „Nein“ soll eine Struktur erschaffen und neue Wege in eng gewordenen Lebensräumen bieten, die sich in Corona-Zeiten für viele Menschen nur auf Wohnung, Haus und ggf. noch den Garten erstrecken.

Familiäres Leben in der Corona-Krise

Die gesamte Situation der Quarantäne, fehlende Freiräume durch Kontaktbeschränkungen und nur wenige Möglichkeiten, sich aus dem Weg zu gehen, kosten uns viel Energie und Kraft. Im ungünstigen Fall schwächen wir damit unser Immunsystem, ohne es zu bemerken.

Mit einem „Nein“ werden Kinder in ihre Schranken gewiesen und störungsfreie Zeiten im Homeoffice gesichert. Im Leben vor Corona positiv eingestellt, kommt man jetzt an seine Grenzen. Gefühlte Abgründe tun sich auf und fordern uns auf, Anlauf zu nehmen und loszuspringen. Der eigene Anspruch, alles gut bis perfekt zu managen, lässt den Wunsch nach mehr Leichtigkeit und einem Trampolin auftauchen.

  • Nein, ich muss jetzt arbeiten.
  • Nein, es gibt nicht schon wieder Spaghetti.
  • Nein, ich habe jetzt keine Zeit, mit dir zu spielen.
  • Nein, die Bügelwäsche ist noch nicht fertig.
  • Nein, der Fernseher bleibt aus, mal doch ein Bild.
  • Nein, ich kann mich jetzt nicht um die Kinder kümmern, mach Du das bitte.
  • Nein, es gibt nichts zu Naschen, das Essen ist gleich fertig.
  • Nein, erst werden die Hausaufgaben gemacht.
Nein-sagen macht müde und schwächt das Immunsystem
Erschöpftes Herz und Immunsystem

Das „Nein“ kostet Kraft und zerrt an der Gesundheit

Das „Nein“-sagen ist eine Reaktion auf diese eine Forderung und kostet uns richtig Kraft. Wir lehnen die vorgeschlagenen Dinge ab, um den Tagesablauf oder die Struktur aufrecht zu halten. „Nein“ heißt es außerhalb der Familienzeit, wenn der Schreibtisch ruft und der Krise zum Trotz der Laden laufen muss. Über den Tag verteilt, wird der Akku leerer und das Nervenkostüm dünner.

Kontaktbeschränkungen verhindern das gemeinsame Spielen und Austoben der Kinder. Die ganze Aufgedrehtheit bleibt in der Familie und wenn es rausgeht, bleibt die Konstellation bestehen. Familienzeit bedeutet: „Ja, wir machen etwas.“ Ob Fahrrad gefahren, spazieren gegangen oder gespielt wird: Arbeit und Haushalt werden hinten angestellt und der Fokus liegt auf Spaß und Abwechslung. 

Doch wie lässt sich verhindern, dass uns die Negativität am Abend müde, schlapp oder genervt sein lässt?

Veränderung für ein besseres Immunsystem

Was ist der Grund der Frage, auf die ein „Nein“ geantwortet wird? Wurde sie aus Langeweile gestellt und die Forderung von Aufmerksamkeit steckt dahinter? Dann suchen Sie nach einer Antwort ohne ein „Nein“ zum Ausdruck zu bringen, z. B. mit einer kleinen Aufgabe wie einem Rätsel oder einer Denksportaufgabe. Oder di

Bei anderen Fragen kann ein „Nein“ aufgeweicht – also der Kraftaufwand reduziert – werden. „Ich sitze jetzt noch bis um 15 Uhr am Schreibtisch, danach machen wir …“ Konkret benannte Zeiten sind hilfreich und sorgen für Verständnis, wenn man sich an seine Zusagen hält.

Auch feste Essenszeiten bieten eine Struktur im Alltag. Wir essen um 13 Uhr und um 18 Uhr, Frühstück gibt es um 8 Uhr. Das „Nein“ wird durch den Satz ersetzt: „Schau mal auf die Uhr“ oder „Such dir aus, was wir nach dem Mittagessen zusammen spielen wollen.“

Genug Energie für eigene Ideen
Fröhliche Familie

Dass die Situation für alle Beteiligten anstrengend ist, steht außer Frage. Verständnis und gegenseitiger Respekt helfen ebenfalls dabei, nicht gleich ein „Nein“ rauszugeben, sondern mit einem „Ja, das machen wir um … Uhr“ zu antworten und sich dann auch mal auf neue Ideen einzulassen.

Suchst Du nach weiteren Möglichkeiten, aus dem müde machenden „Nein“ herauszukommen. Dann hast Du am Abend noch genügend Energie, um Dich mit schönen Dingen zu beschäftigen und diesen Freiraum vollumfänglich genießen zu können. So bleibst Du in Deiner Kraft und sorgst für ein stabiles Immunsystem – für Deine Gesundheit.

Schreib uns Deine Fragen, Ideen oder Lösungen gern in die Kommentare. Wir werden kurzfristig darauf antworten.