Ein Einblick in eine Genossenschaft für Frauen, die etwas bewegen wollen.

Frau Dr. Katja von der Bey ist seit 1996 im Vorstand der Frauengenossenschaft WeiberWirtschaft eG und ist immer noch fasziniert von den Möglichkeiten, die sich durch den Zusammenschluss von Frauen ergeben. Die promovierte Kunsthistorikerin ist seit 1992 genossenschaftlich aktiv und wurde für ihre Verdienste bereits mehrfach ausgezeichnet. Sie gibt uns in einen Einblick in die Themenvielfalt der Genossenschaft, die vor über 30 Jahren gegründet wurde und aus einer kleinen Fraueninitiative entstanden ist.

Hallo Katja, herzlichen Dank für Deine Bereitschaft, uns für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Als Vorstandsmitglied und Geschäftsführerin der WeiberWirtschaft eG kümmerst Du Dich unter anderem um die Öffentlichkeitsarbeit und das Gründerinnenzentrum. Kannst Du uns etwas zur Rechtsform sagen und uns die Entstehung und Zielsetzung der Genossenschaft etwas näherbringen?

Mitte der 1980-er Jahre nahm alles mit einer Studie seinen Anfang. Einige Frauen schlossen sich zu einer Initiative zusammen, um ein Trägermodell eines Gründerinnenzentrums zu entwickeln. Daraus entwickelte sich der Verein Weiberwirtschaft e.V., der Anfang der 1990-er Jahre in die Frauengenossenschaft „WeiberWirtschaft eG“ überging.

Die Rechtsform der Genossenschaft hat den Vorteil, dass alle Genossinnen – unabhängig vom Kapitaleinsatz – das gleiche Stimmrecht haben. Mittlerweile sind wir über 2000 Frauen aus ganz Deutschland und darüber hinaus. Viele davon sind keine Existenzgründerinnen, sie unterstützen das Modellprojekt aus frauenpolitischem Interesse. Wir wollen die Welt verändern und zeigen, was Frauen auf die Beine stellen können. Frauen helfen Frauen, denn gemeinsam sind wir stärker – das haben wir mehrfach bewiesen.

Der Blick in die Satzung legt dar, dass wir nicht auf Gewinnerzielung aus sind. Der Zweck der WeiberWirtschaft ist die Förderung ihrer Mitglieder, die Verbesserung der Ausgangsbedingungen von Frauenbetrieben und -projekten durch Bereitstellen von Gewerberäumen in einem Gründerinnenzentrum, die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen für Frauen sowie die Stärkung von Frauen auf wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiet.

Unser Kerngeschäft ist die Vermietung von Gewerberäumen: Unsere Schwesterorganisation Gründerinnenzentrale bietet mit unserer finanziellen Unterstützung eine Orientierungsberatung an, wir haben ein Mentoring-Programm aufgelegt und neue Fortbildungsformate für Gründerinnen entwickelt. Wir wollten etwas Großes nach eigenen Regeln erschaffen – und der Erfolg gibt uns Recht: Wir betreiben Europas größtes Gründerinnen- und Unternehmerinnenzentrum mit rund 70 Mieterinnen.

Copyright Florian Bolk
Katja, die aus dem Satzungszweck resultierenden Themen sind vielfältig. Kannst Du uns einen kleinen Überblick zu den aktuellen Themen der WeiberWirtschaft geben?

Die deutsche Wirtschaft ist weder Familien- noch Frauenfreundlich aufgestellt. In der Vergangenheit wurden zwar einige „Schönheitsreparaturen“ vorgenommen, doch die Nachteile für Frauen liegen immer noch klar auf der Hand. Unsere Themen gehen in die Bereiche, in denen für Verbesserungen gesorgt werden muss. Das sind z. B.

  • Gründungsberatung von Frauen Die berufliche Option Selbständigkeit sollte für Frauen genauso selbstverständlich werden, wie sie für Männer schon lange ist. Wir setzen uns für eine Gründungskultur ein, in der Frauen genauso gefördert und unterstützt werden wie Männer.
  • Vereinbarkeit von Beruf und Familie
  • Chancengleichheit
  • Angleichung des Life Income Gap
    Frauen verdienen in ihrem Leben nur halb so viel wie Männer. Bei den abhängig Beschäftigten liegt der Gap bei 20%. Der Equal Pay Day ist ein Aktionstag zu diesem Thema. Bei den Selbständigen ist die Lücke noch viel größer.
  • Entwicklung einer zukunftsfähigen Form der Wirtschaft
    Dabei geht es um die Entwicklung von nachhaltigen Modellen, die eine größere Lebenszufriedenheit ermöglichen und um die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen mit Zukunftsperspektive.
  • Altersarmut
    Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit sind notwendig, weil immer noch viele Frauen kein eigenes Geld haben und später nicht abgesichert sind.
  • Vergabe von Mikrokrediten
    Wir sind als akkreditiertes Finanzinstitut in der Lage, Kredite zu vergeben und können Gründerinnen unterstützen.
  • Befürwortung einer angemessenen Bezahlung der erbrachten Leistung
    Bieterplattformen, auf denen der günstigste Anbieter den Zuschlag erhält, richten großen gesellschaftlichen Schaden an. Wir thematisieren und klären auf, um den Schaden dieser Art von „Lohndumping“ sichtbar zu machen.
Der amtierende Vorstand – Copyright Anke Großklaß
Die Themen sind breit gefächert. Bleiben wir mal bei dem Unterschied von Frauen und Männern. Das gilt für das Einkommen, aber auch für den Grund einer Existenzgründung. Was ist dabei besonders bemerkenswert?

Ein Beispiel ist die Vertrauenslücke „Confidence-Gap“. Das sehen wir im Gründungsbereich häufig.

Während Frauen sich eher unterschätzen machen Männer genau das Gegenteil. Ein gesellschaftliches Problem wird deutlich, denn Männern wird die Selbstständigkeit eher zutraut. Ihnen wird auf die Schulter geklopft, sie werden gefragt: „Und, wann hast Du die erste Million zusammen?“ Bei Frauen sieht das ganz anders aus. Sie werden gefragt, ob sie sich das zeitlich überhaupt erlauben können, sie müssen ja schließlich auch noch für die Familie sorgen.
Um es klar zu sagen: Männer haben die Familie im Rücken, während Frauen die Familie im Nacken haben. Diese altmodischen Ansichten lassen in ihrer Wirkung nur sehr langsam nach.

Frauen ticken anders, sie haben eine andere Vorstellung von der Welt und wollen sinnstiftenden Tätigkeiten nachgehen. Nicht umsonst sind viele im Care-Bereich und in der Sorge-Arbeit unterwegs. Frauen geht es weniger um den Profit, sie wollen der Gesellschaft etwas geben, etwas Gutes in die Welt tragen und anderen Menschen helfen. Männer sind eher gewinnorientiert, die nachhaltige oder soziale Komponente der Tätigkeit spielt dabei keine große Rolle.

Auffallend sind die kulturellen Unterschiede. Im Osten sind wesentlich mehr junge Frauen in technischen Berufen tätig und es gibt auch mehr Frauen in Führungspositionen. Durch die staatliche Regelung der Kinderversorgung konnten und mussten die Frauen immer arbeiten und auch selbstverständlich in allen Berufen. Das hat eine andere gesellschaftliche Wahrnehmung bewirkt.

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Das bedeutet zwar lokal gesehen eine bessere Ausgangsposition für die Frauen, doch durchgängig ist das nicht. Du erwähnst hohe Hürden, die Frauen überwinden müssen, um aus gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auszubrechen. Kannst Du das an einem Beispiel verdeutlichen?

Nehmen wir z. B. Corona, oder die Sorge- und Pflegearbeit. Es geht mir dabei um das Bewusstsein, dass die altbekannten Klischees ganz tief in der Gesellschaft verankert sind. Corona hat uns das im Frühjahr extrem deutlich gemacht.

Thema Homeschooling:
Der Lockdown kam und die Kinder mussten zu Haus unterrichtet werden. Wie viele Männer haben diese Aufgabe freiwillig übernommen? Die meisten Frauen hatten keine Wahl, das gesellschaftliche Denken ist sehr konservativ im Hinblick auf Veränderungen.

Thema Pflege der Eltern:
Häufig wird vorausgesetzt, dass Frauen die elterliche Pflege übernehmen. Manche kommen gar nicht auf den Gedanken, dass man darüber durchaus diskutieren kann. Sie übernehmen sowohl die Verantwortung als auch die körperliche Arbeit. Doch die Gesellschaft nimmt das nicht wahr und wertgeschätzt wird das auch nicht.

Thema Gendern:
Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die sprachliche Umsetzung konsequent erfolgen muss. Damit sind Erfolge sichtbar geworden. Frauen fühlen sich eher angesprochen und reagieren auf entsprechende Formulierungen. Zum Beispiel wurde ein Online-Fragebogen mit einem Kooperationspartner gendergerecht angepasst. Die Konsequenz war eine wesentlich höhere Rücklaufquote von Frauen im Vergleich zu den Vorjahren.

Thema Familiengründung:
Das klingt nach einem privaten Thema, doch tatsächlich ist es politisch. Die Frage: „Wer kümmert sich um die Kinder“ ist berechtigt, doch die Antwort ist in Gesetzen verankert. Elternzeit 12/2: Das bedeutet, dass der Vater, wenn er die Elternzeit nicht verschenken möchte, mindestens 2 Monate nehmen muss. Seitens der Politik könnten hier doch auch 50:50 vorgesehen werden.

Nach der Generalversammlung – Copyright Anke Großklaß
Das waren schon wirklich viele Informationen zu der kleinen Themenauswahl. Herzlichen Dank Katja, für den spannenden Einblick. Wir wünschen Dir und allen Mitgliedern weiterhin viel Erfolg für die Zukunft, die uns alle betrifft.

Titelbild: Katja von der Bey WeiberWirtschaft eG – Copyright Anke Großklaß