Ein Interview mit der Trauerrednerin Claudia Engel, Rede.Engel

Ein Interview mit der Trauerrednerin Claudia Engel, Rede.Engel

Sie liest gerne. Sie ist empathisch. Sie schreibt wertschätzend über das Leben anderer.

Claudia Engel ist Trauerrednerin und begleitet Menschen ein Stück des Weges, damit sie sich im Guten an den schweren Tag der Beerdigung, den Abschied ihres geliebten Angehörigen erinnern können. Sie schreibt und hält die Trauerrede, gestaltet und leitet nach den Wünschen der Angehörigen die gesamte Beerdigung.

Hallo Frau Engel, welches Gefühl entsteht, wenn Sie eine Trauerrede halten – sowohl bei Ihnen als auch bei den Trauernden?

Bei mir entsteht Zufriedenheit, wenn ich in die Gesichter der Anwesenden blicke und wenn ich hinterher ihre Rückmeldung bekomme, wie: „Das war eine schöne Trauerfeier.“ Denn dann ist es mir gelungen, das Wesen, die Persönlichkeit des verstorbenen Menschen noch einmal lebendig werden zu lassen.

Die Trauergäste sind sehr dankbar, dass der letzte Abschied in einem würdevollenm Rahmen stattgefunden hat, und sie sich an schöne Augenblicke erinnern konnten. Wie ein heller Lichtstrahl, der sich leichtfüßig seinen Weg durch die Trauer bahnt. Oft sind positive Gedanken durch die schweren Tage in den Hintergrund gerückt.

Sie blicken auf einen erstaunlichen Lebenslauf zurück, der viele Facetten bereithält. Was hat Sie dazu bewegt, als Trauerrednerin tätig zu werden?

Meine Lebenserfahrung beinhaltet einige Stationen, wie das Germanistikstudium, das Studium der Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte in München. Ich war als Fernsehredakteurin immer an sozialen Themen interessiert und komme schnell mit Fremden in Kontakt, die sich mir öffnen können. Mich berühren die Geschichten, die sie mir erzählen und ich lerne viel daraus. Beim Fernsehen habe ich Unterhaltungssendungen, wie z. B. die ARD-Talkshow „Fliege“ (die fast 11 Jahre zum Nachmittagsprogramm gehörte) oder die Kabarettsendung „Ottis Schlachthof“ entwickelt und aufgebaut. Danach war ich 17 Jahre als Pressereferentin für Fraueneinrichtungen tätig. Auch bei dieser Aufgabe hatte ich immer wieder mit Bruchstellen im Leben anderer Menschen zu tun. Nachdem ich ins Ruhrgebiet zurückkam, blieb ich vorerst bei meiner Tätigkeit, doch sie erfüllte mich nicht mehr so wie früher.

Ich habe eine Pause eingelegt und mich gefragt, was mir Spaß macht. Dabei wurde mir klar, dass es um eine Kombination meiner Kompetenzen geht. Zum einen bin ich Journalistin und zum anderen baue ich gern eine Verbindung zu anderen Menschen auf.
Während einer Trauerfeier hatte ich schon vor ein paar Jahren einen wirklich schlechten Trauerredner erleben müssen. Wie das im Leben oft geschieht, fiel mir ein Artikel der Süddeutschen Zeitung ins Auge. Ein Trauerredner schrieb über seinem Alltag, über seine Aufgaben und von den bereichernden Begegnungen. Dieser Beitrag hat mich inspiriert, mich mit dieser Tätigkeit auseinanderzusetzen und ich stellte fest, das passt wunderbar zu dem, was ich schon mitbringe. Ich machte mich auf die Suche, nach einer entsprechenden, qualifizierten Ausbildung, um mein vorhandenes Handwerkszeug noch zu verfeinern.

Der Gedanke, meine gebündelten Fähigkeiten in dieser Tätigkeit nutzen zu können, fühlte sich wirklich gut an. Große Empathie, gutes Wortgefühl und meine Lebenserfahrungen sind optimale Grundlagen, um „fühlige“ Texte zu schreiben und den verstorbenen Menschen mit seiner Geschichte, mit seinem Wesen, mit dem, was ihn ausmachte in der Trauerrede widerzuspiegeln.

Rückblickend wird deutlich, dass es eine Art berufliche Neuorientierung war. Sie fand mit dem Beginn der Selbstständigkeit als Trauerrednerin im November 2022 ein Ende und beinhaltete gleichzeitig einen wunderbaren Neuanfang.

Liebe Frau Engel, wie können sich unsere Leser:innen Ihre Tätigkeit vorstellen? Wie finden Angehörige zu Ihnen und wie sieht Ihr Alltag bzw. der weitere Ablauf dann aus?

Entweder werde ich von den Bestatter:innen empfohlen, im Internet gefunden oder es hat mich schon jemand als Trauerrednerin erlebt und erinnert sich. Im ersten Schritt telefonieren die Hinterbliebenen mit mir, um einen Termin zu vereinbaren.

In das Gespräch vor Ort gehe ich mit einer totalen Offenheit, daich vorher nicht weiß, was mich erwartet. Meine „Antennen“ sind ausgefahren, um die trauernden Angehörigen gut einschätzen und aufmerksam hinhören zu können.

Ich strahle Ruhe und Gelassenheit aus und gebe den Anwesenden die Zeit, die sie brauchen, um ihre Gedanken und ihre Gefühle zu sortieren. In diesen Gesprächen bin ich emotional auf mein Gegenüber fokussiert. Mit großer Sensibilität leite ich durch das Gespräch, und behalte alle offenen Fragen im Blick, damit ich von möglichst vielen Facetten der verstorbenen Person erfahre. Eine Tochter hat das einmal auf den Punkt gebracht: „Frau Engel, vielen Dank für das wunderbare Gespräch, das war fast wie eine Therapiestunde für mich.“ Die Angehörigen kommen manchmal für den Moment in eine andere Stimmung, denn wir gehen im Gespräch zurück und betrachten den gesamten Lebensweg der Verstorbenen. Das lässt die letzten, schweren Tage vergessen, es fällt ihnen wieder etwas ein und sie lächeln plötzlich. Dann wird das Herz etwas weiter, was sich vorher zusammengezogen hatte.

Nach diesen Vorgesprächen brauche ich erst einmal Stille. Mitunter gibt es Probleme in den Familien und ich spüre, wenn Spannungen vorhanden sind. Manchmal ist die Todesursache schwierig, wie beispielsweise ein Selbstmord. Oder es ist ein Kind, ein junger Familienvater verstorben – und die Angehörigen sind in einem schockartigen Zustand. Ich fahre nach Hause, habe das Radio ausgeschaltet und lasse das Gespräch in mir nachwirken.

Zusammengefasst sieht es – zeitlich betrachtet – so aus, dass ich zum ca. 2-stündigen Vorgespräch mit den Angehörigen fahre. Danach schreibe ich die Trauerrede und übe sie ein, das dauert etwa 4 Stunden. Die Beerdigung selbst dauert auch nochmal 1 – 2 Stunden. Mit Fahrtzeiten bin ich etwa 8 – 9 Stunden beschäftigt. Die Kosten bewegen sich ab 400 Euro aufwärts und es gibt regionale Unterschiede.

Herzlichen Dank für die Zusammenfassung. Jetzt möchte ich von Ihnen wissen: Was war ein ganz besonderer Moment, der bei Ihnen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat?

Eine Trauerfeier wird mir immer besonders in Erinnerung bleiben. Der Abschied fand vor der Seebestattung in einem Lokal am Baldeneysee, in einem separaten Raum statt. Die Urne war mit dem Kranz und den Kerzen wunderschön aufgestellt. Die Angehörigen sollten persönliche Erinnerungsstücke mitbringen, die neben mir auf einem Tisch lagen. Ich habe die Trauerrede gehalten und mich dann den mitgebrachten Gegenständen auf dem Tisch gewidmet. Jedes Erinnerungsstück wurde von mir anmoderiert und die jeweiligen Trauergäste haben die dazugehörige Anekdote erzählt, so dass viele Geschichten geteilt wurden. Es war eine wahrlich würdevolle Trauerfeier, die den Hinterbliebenen viel gegeben hat.

Das hört sich wundervoll an und es ist nachvollziehbar, welch schöne Erinnerungen dadurch wieder wach werden. Damit unsere Leser:innen ähnliche Erlebnisse machen können, was ist aus Ihrer Erfahrung in den Vorgesprächen besonders wichtig? Worauf sollten Angehörige im Trauerfall achten?

Der Beruf des Bestatters ist traditioneller Weise eine Männerdomäne. Denn früher waren es häufig Schreiner, die sich auf Bestattungen spezialisiert haben, da sie auch die Särge herstellten. Oftmals wurde das Geschäft an eines der Kinder weitergegeben. Wenn heutzutage ein Bestatter in Ruhestand geht und niemand aus der Familie den Betreib weiterführen möchte, kauft ihn ein anderer Bestatter. Der alteingesessene Name bleibt jedoch bestehen. Gut ist, dass immer mehr Frauen Bestattungshäuser gründen, gerade in Großstädten wie Berlin oder München. Man(n) bleibt auch gern unter sich, so dass es für Trauerrednerinnen wie mich nicht einfach ist, über die Bestattungshäuser empfohlen zu werden. Das mag jetzt vielleicht etwas bitter klingen, aber immer wieder erzählen mir Hinterbliebene von Trauerfeiern, die sie entsetzlich fanden und die alles andere als individuell und persönlich waren.

Mein Tipp für Ihre Leser:innen: Recherchieren Sie kurz im Internet, hören Sie auf Ihr Bauchgefühl, gehen Sie nach Sympathie. Beim ersten Telefonat wird meistens schon klar, ob das passen könnte oder nicht. Dabei ist spürbar, ob jemand gut mit Worten umgehen kann und wie der Klang der Stimme ist.

Beim Schreiben der Trauerrede kann ich nur für mich sprechen. Mir ist wichtig, dass ich den Anwesenden mit meinen Worten und Gedankengängen etwas geben kann. Ich möchte den Verstorbenen authentisch darstellen und nicht mit Floskeln oder pauschalen Aussagen um mich werfen. Im letzten Teil der Rede geht es um den Ausblick: eine Hoffnung, den nächsten und übernächsten Tag, und darum, den Angehörigen kleine, gedankliche Samenkörner mitzugeben, die vielleicht aufgehen werden.

Vielen Angehörigen ist es wichtig, dass sie nach einem würdevollen Abschied sagen könnten: „Das hätte ihm oder ihr wirklich gut gefallen.“ Wem die Beisetzung am Herzen liegt, nimmt sich die halbe Stunde, um nach der besten Option zu recherchieren und vermeidet es, sich nur auf eine einzige Person zu verlassen.

Liebe Frau Engel, was liegt Ihnen besonders am Herzen und was verstehen Sie unter dem Begriff „Würde“?

Es ist schade, dass der Tod in den Familien nicht mehr thematisiert wird. Er gehört zum Leben dazu, und zwar: seit wir geboren sind steht fest, wir werden irgendwann sterben. Doch das Thema wird nicht angefasst, auf die lange Bank geschoben und verliert sich dann im Laufe der Zeit. Dadurch fehlt den Angehörigen das Wissen über die Wünsche der Verstorbenen und mir liegt am Herzen, dass mehr Menschen ihren Mut zusammennehmen, um das Gespräch in den Familien zu führen.

Mit dem Wort „Würde“ geht für mich einher, die verstorbene Person mit all ihren Lebensinhalten zu sehen, das Leben an sich zu würdigen und mich davor zu verneigen. Den Angehörigen gegenüber ist es dasselbe. Das, was ich im Vorgespräch höre, spüre und wahrnehme so stehen zu lassen, es wertzuschätzen und jeden so sein zu lassen, wie er ist. Das ist Würde.

In Bezug auf die Trauerfeier umfasst die „Würde“ einen gewissen Rahmen, einen Raum der Stille, der Wachheit, eine getragene Atmosphäre, in der ein Mensch verabschiedet wird. Der Rahmen entsteht durch eine konzentrierte Stille und die besondere Atmosphäre in der Trauerhalle. Wir geben dem Verstorbenen einen Raum, wir gedenken seiner. Würde ist für mich die Verneigung vor dem Leben, welches wir verabschieden.

Auf Ihrer Website gibt es einen Menüpunkt „Trauerhallen“ und „Hinterzimmer“. Was hat es damit auf sich?

Ich habe Kunstgeschichte studiert und Architektur interessiert mich von Hause aus. Die Fotos sind als Dokumentation der jeweils ganz eigenen Trauerhallen und ihrer Innenräume gedacht und dienen den Angehörigen dazu, sich mit diesem Raum vorher schon ein wenig vertraut zu machen. Sie vermitteln einen ersten Eindruck von der jeweiligen Atmosphäre. Es gibt fast in jeder Trauerhalle einen Raum, in dem sich der Pfarrer umziehen kann. Er dient mir dazu, mich auf das Begleiten der Trauerfeier und das Halten der Trauerrede vorzubereiten. Diese Räume sind dem Trauergast unbekannt – deshalb fotografiere ich sie und nenne sie „Hinterzimmer“. Es ist immer wieder eine Überraschung, was sich in diesen Räumen verbirgt. Schauen Sie auf meine Website, sie werden erstaunt sein …

Liebe Frau Engel, was möchten Sie unseren Leser:innen mit auf den Weg geben? Haben Sie Tipps oder Erkenntnisse, die Sie teilen möchten?

Auf meiner Website im Blog habe ich einige Tipps mit ergänzenden Erklärungen zusammengefasst, auf die ich an dieser Stelle gern hinweisen möchte.

  • Augen auf bei der Wahl des Bestattungshauses
  • Gedanken über die Gestaltung der Trauerfeier
  • Die Trauerrede: Das Herzstück einer würdevollen Trauerfeier
  • Zeitfenster bedenken
  • Auswahl der Trauerredner:in
  • Kosten und Budget

Und gern können mich Ihre Leser:innen über die Kontaktmöglichkeiten anschreiben, wenn Sie Fragen haben.

Herzlichen Dank für das kurzweilige Interview Frau Engel. Sie haben uns bereichernde Einblicke in Ihre Tätigkeit ermöglicht und wir wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute!

Kontaktdaten:

Rede.Engel
Claudia Engel
Weißdornweg 10
45133 Essen

Telefon: +49 171 1938252
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Buchtipp:
Trauer ist das Ding mit den Federn von Max Porter, ISBN-10: ‎ 3446249567 / ISBN-13: ‎ 978-3446249561
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Interview: Das Sterben und der Tod dürfen keine Tabus mehr sein!

Interview: Das Sterben und der Tod dürfen keine Tabus mehr sein!

Ein Interview mit Patricia Tüchsen, Bestattungsdienste Patricia Tüchsen & Bestattungshaus Giese in Dortmund

Patricia ist jung und eine bodenständige Unternehmerin, die als Bestatterin einen neuartigen und ganzheitlichen Ansatz verfolgt. „Das Sterben darf seinen Platz im Leben wieder einnehmen“, sagt sie und zeigt mir ihre Visitenkarte. „Der Leuchtturm steht als Sinnbild für das Brechen mit einem großen Tabu und als Wegweiser für alle Betroffenen in emotional dunklen Zeiten.“

Hallo Patricia, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für uns genommen hast. Ich möchte vorne anfangen: Du kommst ursprünglich aus dem Büromanagement und hast Dich bei einem Bestatter beworben. Krankheitsbedingt warst Du plötzlich die stellvertretende Geschäftsführerin und musstest alles am Laufen halten. Das war sicher schwer, dennoch hast Du Dich entschieden, Dein eigenes Bestattungsunternehmen zu gründen. Wie kam es zu dieser Entscheidung und wie ging es weiter?

Ja, das war schon ein Sprung ins kalte Wasser. Etwa 9 Monate nach meinem ersten Arbeitstag stand ich plötzlich alleine da, weil der Geschäftsführer erkrankt war. In dieser Zeit habe ich sehr viel und schnell lernen müssen. Diese Erfahrung hat mich darin bestätigt, dass ich mein eigenes Bestattungsunternehmen eröffnen wollte, um mich intensiver mit den Menschen und der emotionalen Seite in ihrem letzten Lebensabschnitt beschäftigen zu können. Viele Familien können mit Trauer nur schwer umgehen, das war früher anders. Damals wurden die Verstorbenen häufig zu Hause aufgebahrt, damit alle Familienmitglieder gemeinsam – mit den Kindern, den Verwandten und Bekannten – in Ruhe Abschied nehmen konnten. Heute ziehen sich die meisten Menschen zurück und das Trauern findet abseits des gesellschaftlichen Lebens statt.

Mit diesem Tabu möchte ich aufräumen, denn das Verabschieden in den Tod gehört zum Leben dazu. Ich habe mich daher als mobile Bestatterin selbstständig gemacht. In vielen Gesprächen mit Angehörigen wurde mir bewusst, wie wenig Allgemeinwissen über die Möglichkeiten der Beisetzung, Trauerfeiern und des Abschiednehmens vorhanden ist. Daraufhin wurden die Aufklärungsgespräche intensiver und ich habe Vorschläge gemacht, die sehr positiv aufgenommen wurden. Die Dankbarkeit der Hinterbliebenen hat mir bestätigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin und die Beerdigung nur einen kleinen Teil des letzten Lebensabschnitts abbildet, der so viel Emotionen beinhaltet.

Als mir die Übernahme eines alteingesessenen Bestattungsunternehmens angeboten wurde, habe ich im letzten Herbst zugesagt. Ich habe mich vergrößert und Mitarbeiterinnen eingestellt, die mich im Büro und bei der Organisation unterstützen.

Doch meine Vision geht noch weiter und der nächste Schritt ist gerade abgeschlossen. Ich habe weitere, größere Räumlichkeiten gefunden, um sie umzusetzen. In meinem Wandelraum kann ich verschiedene Abschiedsmöglichkeiten anbieten, z. B. können hier Särge und Urnen individuell von den Angehörigen gestaltet werden, dadurch wird die Trauer bearbeitet und der Tod aus der Tabuzone geholt. Der Wandelraum auch ist für Begegnungen und interaktive Angebote da, denn ich möchte, dass der Abschied und das Sterben wieder ins Leben integriert werden.

Du möchtest die Tabuthemen „Sterben und Tod“ wieder gesellschaftsfähig machen, weil auch die Trauerarbeit zum Leben dazugehört. Warum ist Dir diese ganzheitliche Betrachtung so wichtig?

Sterben ist so, wie das letzte große Nachhause kommen. Bei der ganzheitlichen Vorsorge geht es darum, sich selbst zu Lebzeiten – und die Angehörigen in der Trauerphase – zu entlasten.

Für einen Bestatter geht es im Regelfall „nur“ darum, die Bestattung zu organisieren. Doch Sterben ist emotional und geht tief unter die Haut. Ich sehe den Menschen mit seinen ganzen Emotionen und nicht nur eine Trauerfeier. Daher ist mir die Begleitung in diesem Lebensabschnitt so wichtig, denn wir sind es nicht mehr „gewohnt“ Abschied zu nehmen und loszulassen.

Patricia, wenn Du Deinen Kund:innen anbietest, sie können Dich ab einer Diagnose anrufen, stelle ich mir vor, dass die Gespräche sehr schwer sind. Doch Du hast eine Spezialausbildung als Sterbe- und Trauerbegleitung absolviert, um dem ganzheitlichen Ansatz gerecht zu werden.

Meine Kund:innen rufen an, weil sie schlimme Diagnosen bekommen haben und sich dann Gedanken darüber machen, wie sie ihren Abschied gestalten möchten. Im Vorfeld weiß ich nie, was mich im nächsten Gespräch erwartet. Dennoch ist es mir wichtig, meinen Gesprächspartner:innen eine erste Orientierung zu geben. Manchmal ist es die Krankengeschichte, manchmal sprechen wir zuerst über die Wünsche zur Beisetzung, oft über die Familiengeschichte und über die am Lebensende wichtigen Dokumente. Dazu möchte ich erwähnen, dass ich in diesen Fällen fachliche Unterstützung hinzuziehe, wie z. B. Personen, die den rechtlichen Bereich abdecken.

Menschen, die den Tod vor Augen haben, wollen selbst entscheiden, wie die Trauerfeier und der Abschied sein sollen. Natürlich müssen sie auch manchmal weinen oder es fällt ihnen schwer über ihren Tod zu sprechen. In den Gesprächen biete ich ihnen viel Raum, um über die Ängste zu sprechen und die Wünsche zu benennen. Ich unterbreite auch Vorschläge, da viele Menschen nicht wissen, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt.

Manchmal geht es auch einfach nicht mehr, dann vertagen wir das Gespräch auf einen neuen Termin. Mir ist es wichtig, dass sich die Leute mit den getroffenen Entscheidungen wohl und sicher fühlen; sie merken, dass ich verstanden habe, was ihnen wichtig ist.

Vielen ist es ein Anliegen, alles vorher schon finanziell abzusichern. In diesem Fall können Vorsorgezahlungen geleistet werden, die in eine Bestattungstreuhand fließen. Dann ist das Geld grundsätzlich über Banken und die Bafin abgesichert. Das eingezahlte Geld steht für die Beerdigungskosten jederzeit zur Verfügung, auch wenn es den Bestatter evtl. nicht mehr gibt.

Wie Du auch hier wieder sehen kannst, sind in den Gesprächen immer beide Seiten vorhanden. Sowohl die emotionale, mitfühlende Art als auch die Darlegung der konkreten Fakten: Was ist überhaupt möglich und was kostet das.

Du hast gerade von Vorschlägen gesprochen, die Du in den Gesprächen mit den Angehörigen machst. Kannst Du mir ein paar Beispiele geben? Was können sich unsere Leser:innen darunter vorstellen?

Ich mache Vorschläge, wie sich der Abschied gestalten lässt. Das kann z. B. ein Abschied am Sterbeort sein. Verstorbene müssen (in NRW) spätestens 36 Stunden nach dem Tod in einen Kühlraum gebracht werden, doch das weiß kaum jemand. Diese Zeit kann genutzt werden, um mit der Trauerarbeit zu beginnen. Zum Beispiel mit einer kleinen Zeremonie wie das Waschen und das gemeinsame Ankleiden, dabei läuft ggf. leise die Lieblingsmusik des Verstorbenen und man erinnert sich an vielen positiven Begebenheiten.

Die Trauerfeier kann auch zu Hause stattfinden, das muss nicht beim Bestatter oder auf dem Friedhof sein. Wir können den Verstorbenen abholen, herrichten und die Aufbahrung im Sarg oder im Bett vornehmen. Natürlich gibt es auch Abschiedsräume im Bestattungsinstitut, auf den Friedhöfen oder am Krematorium, die genutzt werden können.

Mit der Urne kann eine Trauerfeier am Wunschort durchgeführt werden. Das muss nicht auf dem Friedhof sein, das kann auch am Lieblingsort des Verstorbenen durchgeführt werden.

Der Abschied ist sehr individuell und als Bestatterin möchte ich, dass die Wünsche des Verstorbenen berücksichtigt werden. Gibt es dahingehend keine Wünsche, sollte es sich für die Hinterbliebenen richtig anfühlen. Ich sehe meine Aufgabe wie die einer Eventagentur. Es gibt zwar den traurigen Anlass, doch der Abschied darf zu einer weiteren, wunderbaren Erinnerung an den geliebten Menschen werden. Daher gibt es bei mir kein „Standard-Programm“, ich reagiere auf die Dinge, die mir erzählt werden.

In den Gesprächen ist mir wichtig, dass wir über die Wahlmöglichkeit des Grabes sprechen. Von Gräbern, die direkt von den Friedhofsmitarbeitenden gepflegt werden – und so den Druck auf die Hinterbliebenen reduziert, über die Bestattung in einem Grabfeld, dass mit einem Bodendecker bepflanzt wird – und damit für die Angehörigen pflegefrei ist, bis zu einem Waldgrab (Haingrab) oder einem Baumgrab (einem Feld mit vereinzelt stehenden Bäumen). (Anm. der Red.: Die Bezeichnungen sind von Kommune zu Kommune unterschiedlich.)

Als Alternative zu einem Friedhofsplatz besteht die Möglichkeit, die Urne zu Hause aufzubewahren. Dazu wird die Asche von uns in einer Urne nach Holland gebracht, wo sie einen Monat aufbewahrt wird, damit gilt sie offiziell als beigesetzt. Danach holen wir sie wieder ab, um sie den Angehörigen zu übergeben.
Auch lässt sich ein Setzling des Lieblingsbaums oder eine andere Pflanze in ein Gemisch aus Erde und Asche einpflanzen und auf dem Balkon oder im Garten unterbringen, das ist eine tree of life-Bestattung. Für viele ist es ein Trost, den lieben Menschen in der Nähe zu wissen, für manche Menschen ist aber auch der Friedhof der absolut richtige Ort.

Die Entscheidung für eine anonyme Beerdigung lässt sich nach der Beisetzung nicht rückgängig machen. Die Hinterbliebenen erfahren (je nach Gemeindevorschriften) meistens nur den Friedhof und den Tag der Beisetzung. Das ist vielen Angehörigen nicht bewusst, daher kommuniziere ich diese Dinge im Vorfeld.

Liebe Patricia, Du hast durch die Begleitung im letzten Lebensabschnitt viele Erlebnisse machen müssen, die für kranke Menschen und deren Angehörigen nicht leicht waren. Was möchtest Du unseren Leser:innen mitgeben, die vielleicht Familienmitglieder haben, die erkrankt sind und/oder nicht mehr zu Hause gepflegt werden können?

Mit fällt immer wieder auf, dass das Personal in Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen oft nur wenig aufklärt und teilweise nur mit Halbwissen agieren. Das kann ich so nicht stehen lassen und übernehme die Aufklärung, weil ich sehe, wieviel Leiden verursacht wird – jedoch ohne einen Rechtsanspruch.

Zum Beispiel darf ein Sterbender entsprechende Medikamente bekommen, dass er einschlafen kann. Die Palliative Sedierung, also eine Art der passiven Sterbehilfe, ist legal und wird von einem Arzt durchgeführt. Ist jedoch kein Arzt im Pflegeheim ansässig oder der Pflegedienst kommt nur zum Patienten nach Hause, wird das nicht angeboten. Doch ich schreite dann ein und fordere vehement, dass sie einen Arzt rufen müssen, denn der Patient hat ein Anrecht darauf, ohne Schmerzen zu sterben.

Das Zitat aus dem „Southwestern Michigan Service Education Council“ von 1975 ist so wichtig, das wird mir nach diesen – durchaus häufigen – Erlebnissen immer wieder klar.

Ein anderes Beispiel ist, dass der Totenschein von den Angehörigen beim Krankenhaus selbst abgeholt werden kann. Einer Angehörigen wurde der Totenschein nicht ausgehändigt, weil sie nicht vom Bestattungsinstitut kam. Das sagt schon alles! Ohne eine unterschriebene Vollmacht haben NUR die Angehörigen das Recht, den Totenschein zu bekommen. Der Bestatter braucht immer eine unterschriebene Vollmacht, auch um den Leichnam überhaupt anfassen zu dürfen oder abzuholen.

Liebe Patricia, herzlichen Dank für das tolle und leichte Gespräch bei diesem schweren Thema. Du lebst das Ganzheitliche in diesem Gewerk und wir drücken die Daumen, dass es bald mehr Bestatter:innen Deiner Art gibt.

Wir wünschen Dir und Deinem Team ganz viel Erfolg mit den Begegnungen in den neuen Räumlichkeiten und der Aufgabe, dass das Sterben und der Tod wieder einen akzeptierten Platz in der Gesellschaft bekommen.

Kontaktdaten von Patricia Tüchsen:

Bestattungsdienste Patricia Tüchsen & Bestattungshaus Giese e.K.
Am Gemeindehaus 5
44225 Dortmund

Telefon (auch WhatsApp): +49 231 99 95 07 30 oder +49 231 71 21 84

E-Mail: buero@bestattungen-dienste.de und info@bestattungen-giese.de

Internet: Bestattungsdienste Patricia Tüchsen und Bestattungshaus Giese e.K.

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