Der Begriff „Loverboy“ klingt süß, doch der Schein trügt, denn es geht um Menschenhandel. Betroffen sind überwiegend Mädchen und junge Frauen im Alter ab 14 bis zu über 18 Jahren.

Viel Aufwand wird betrieben, um junge Menschen der Prostitution zuzuführen und sich persönlich daran zu bereichern. Sie werden sorgfältig ausgewählt und systematisch vom Familien- und Freundeskreis isoliert. Daraus entwickelt sich ein massives Abhängigkeitsverhältnis, das vom Loverboy forciert wird, denn so kann er wesentlich leichter emotionalen Druck auf- und nach Bedarf ausbauen. Das Schlimme daran ist, dass die jungen Frauen keine Alternative sehen und zusätzlich noch glauben, dass sie selbst schuld an ihrer Situation sind.

Junge Mädchen in schlechten Händen

Im ersten Moment denkt man, das könne nicht funktionieren und die Mädchen bzw. jungen Frauen müssten es durchschauen. Allerdings zeigen die Beratungsgespräche der Dortmunder Mitternachtsmission e.V., dass die Betroffenen keine Chance haben, die Situation aus ihrer Perspektive zu erkennen.

Die Sozialarbeiterin Hanna Biskoping führt viele dieser Gespräche und berichtet, dass die Mädchen mit dieser Masche in Situationen getrieben werden, in der sie oft keinen Ausweg mehr sehen. Sie sind nicht mehr in der Lage, die vorgespielte „Notsituation“ ihres Loverboys als Lüge zu durchschauen.

Wie gehen die Männer vor?

Männer, die sich zum Teil jünger machen als sie sind, halten sich an Treffpunkten auf, wo sich junge Menschen begegnen, z. B. an der Schule, in Jugendtreffs, in Clubs, im Internet oder in Social-Media-Chats. Sie suchen nach geeigneten Opfern und nehmen selbst – oder über dritte Personen – Kontakt auf. Die Wahl fällt häufig auf junge Mädchen, die (noch) nicht richtig in einer Clique angekommen sind, die ein geringes Selbstwertgefühl haben oder neu an der Schule sind. Also junge Menschen, deren soziales Umfeld nicht stabil ist und wo mit Lob, Anerkennung, gemeinsamer Zeit, Geschenken und ähnlichen Dingen schnell eine Beziehung aufgebaut werden kann.

Die Männer nehmen sich Zeit, hofieren das Opfer und erschaffen in den Köpfen der Mädchen eine Traumwelt, in der sie sich verstanden, begehrt und geliebt fühlen. Sie sprechen von gemeinsamer Zukunft und „malen“ Bilder von gemeinsamen Urlauben, einer Eigentumswohnung oder der perfekten Ehe – und untermauern diese Bilder mit Geschenken und Komplimenten. Für junge Frauen fühlt es sich wertschätzend und gut an. Sie wirken auf Gleichaltrige plötzlich interessanter, weil sie von einem „älteren“ Mann umworben werden.

Die Grenzen werden ausgelotet

In dieser Phase lotet der Menschenhändler bereits die Grenzen der Mädchen aus: Wie weit gehen sie auf seine Wünsche ein? Wie reagieren sie auf die Konfrontation mit Alkohol und Drogen? Wie reagieren sie auf seine sexuellen Forderungen? Wie experimentierfreudig sind sie? Sind sie neugierig, steigert er seine Forderungen, lehnen sie etwas ab, lenkt er ein: „Nein, das mit den Drogen war nur mal ein Versuch. Mir hat das auch nicht gefallen.“ Die Mädchen fühlen sich in guten Händen und das Vertrauen in den Loverboy wächst.

Es wirkt auf sie wie Verbundenheit, doch in Wirklichkeit ist es der gezielte Aufbau einer Abhängigkeit, denn parallel arbeitet er daran, sie vom Freundes- und Familienkreis zu isolieren. Er sagt z. B., dass die Familie ihre Beziehung nicht anerkennt oder dass er keine Lust auf ihre Freunde hat, die noch so kindlich sind und will lieber mit ihr alleine sein. Die Schmeichelei zeigt Wirkung und die jungen Frauen vertrauen auf den älteren „Partner“, der sein profitables Ziel wesentlich leichter erreichen kann, wenn die sozialen Bindungen zerstört sind.

Schrittweise in die Prostitution

Plötzlich ist es so weit. Der Loverboy steckt vermeintlich in finanziellen Schwierigkeiten. Es droht ihm eine Gefängnisstrafe, wenn er nicht zahlen kann oder die gemeinsame Zukunft ist in Gefahr. Er stellt es so geschickt dar, dass sich die Betroffene mitverantwortlich fühlt und hat auch schon eine Idee, wie sie das Problem aus der Welt schaffen können. Er geht sensibel und empathisch vor. Da er die Grenzen seines Opfers kennt, kann es „harmlos“ anfangen, mit z. B. „Kannst Du im Club als Escort-Service mal aushelfen? Du musst nur ein schönes Kleid und hohe Schuhe tragen, dann können wir die Schulden bald ausgleichen …“ Die Mädchen denken sich meist noch nichts dabei, doch dann möchte ein „Kunde“ doch mehr – und es ist doch nur das eine Mal. Es tut ihm doch so leid, aber sie ist seine Rettung, ohne sie ist er verloren, doch damit kann er die Schläger, die ihm auf den Fersen sind in Schach halten.

Lassen sich die jungen Frauen erst mal darauf ein, wird der Druck weiter gesteigert; die Schulden sind doch höher und er hat ein gutes Angebot bekommen, denn sein Freund würde gern für viel Geld mit ihr schlafen. Ob sie das wohl für ihn tun könnte.

Wenn sie sich weigern, wird psychische und physische Gewalt ausgeübt, von Drohungen die Fotos und Videos von sexuellen Handlungen an Familie und Freunde zu schicken bis zu körperlichen Übergriffen. Die Scham nimmt zu und die Betroffenen werden immer tiefer in die Spirale hineingezogen.

Wollen sie von ihm weg, findet er immer einen Weg, der sie an ihrer Entscheidung zweifeln lässt. Sie fühlt sich wieder wie am Anfang, geliebt und umworben. Er entschuldigt sich und malt erneut das strahlende Bild einer gemeinsamen Zukunft. Viele Mädchen halten an dieser Liebe fest, weil sie nichts anderes kennen, doch der Loverboy spielt nur mit ihnen und hat es einzig und allein auf den eigenen Profit abgesehen, während die Opfer der Prostitution nachgehen müssen.

Wie fühlt sich Liebe an?

Hanna Biskoping arbeitet in der Beratungsstelle der Dortmunder Mitternachtsmission e.V. und erklärt, dass die jungen Mädchen ihre Identität noch nicht gefunden haben und nicht wissen, wie sich echte – bedingungslose – Liebe anfühlt. Hanna zeigt Präsenz und baut eine soziale Bindung zu den Betroffenen auf, indem sie da und ansprechbar ist. Sie bietet Beständigkeit in einer wackeligen Welt, die von emotionalen Berg- und Talfahrten bestimmt wird. Die Sozialarbeiterin weiß, nicht der Ausstieg, sondern das wachsende Vertrauen ist ihr Erfolg. Sie ist da, wenn die Mädchen sie brauchen, egal wie sie sich entscheiden. Denn auch die Loverboys haben Durchhaltevermögen. Sie hatte schon Klientinnen, bei denen der Beziehungsaufbau über ein Jahr gedauert hat. Erst dann kamen die ersten „Notlagen“ und darauf folgte der Einstieg in die Prostitution.

Schwerer Ausstieg

Häufig fällt es den Mädchen und jungen Frauen schwer, sich aus diesen (Höllen-)Beziehungen zu lösen. Die zwei Gesichter des Loverboys und die massive Abhängigkeit bringen sie immer wieder ins Zweifeln. Zudem erhöhen die Menschenhändler den Druck permanent, wenn sie Gefahr laufen, ihre Einnahmequelle zu verlieren.

Hanna Biskoping unterstützt die jungen Frauen mit Wertearbeit, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken und ihnen andere Perspektiven aufzuzeigen. Das ist ein langwieriger Prozess, doch die Arbeit lohnt sich: Betroffene melden sich während des Abnabelungs- oder Ausstiegsprozesses bei ihr und bitten um Hilfe.

Sie begleitet die jungen Frauen ganz individuell. „Nicht für jede ist eine Strafanzeige und ein Gerichtsprozess ein gangbarer Weg. Das Opfer rückt damit in den Fokus, Scham, Schuld und Hilflosigkeit wirken schwer: „Ich habe das mit mir machen lassen …“. Hanna vermittelt Therapiemöglichkeiten und ist eine wichtige Stütze, weil sie die Handlungen der Opfer nicht verurteilt. Sie berichtet, dass eine Richterin am Ende eines Prozesses zu der Betroffenen gesagt hat: „Du trägst keine Schuld!“ Was dieser Satz in der jungen Frau bewegt hat, können Außenstehende kaum ermessen.

Prävention in Schulen

Hanna Biskoping gibt Präventionskurse in allen Schulformen, da sich eine Eingrenzung der Zielgruppe nicht vornehmen lässt. Die Opfer kommen aus sämtlichen sozialen Schichten und einer großen Altersspanne.

Die Kurse ziehen häufig Reaktionen von Freunden und Freundinnen der Betroffenen nach sich. Sie hinterfragen, wie sie helfen können. Hanna erklärt ihnen, dass der Zugang zum Opfer über Angehörige oder Freunde wichtig ist, denn damit bleibt der Kontakt zum sozialen Umfeld bestehen. Hanna berät auch Angehörige. Wie kann die Familie positive Signale senden und wie gehen sie mit dieser Situation um. Sie haben kaum die Möglichkeit aktiv einzugreifen und stehen „nur“ hilflos am Rand. Denn eins ist sicher, der Loverboy wird alles dafür tun, um den Kontakt zu unterbrechen und die Betroffene weiter zu isolieren.

Woran ist eine solche Beziehung erkennbar?

Die Täter sind bis zu 30 Jahre alt, machen sich aber oft jünger. Sie haben häufig Verbindungen ins Milieu und statten die Betroffenen mit einem zweiten (Prepaid)Handy aus, um so die Beweise des Menschenhandels leichter vernichten zu können.

Die soziale Isolation von Betroffenen, Veränderung im Wesen und blaue Flecken können weitere Indizien sein.

Hilfsangebot

Information und Unterstützung leistet die Dortmunder Mitternachtsmission e.V. Die Beratung rund um das Thema Sex, Liebe und Loverboys kann anonym per Chat oder telefonisch, per Videochat oder vor Ort erfolgen.

Hanna steht für die Präventionsarbeit in den Schulen zur Verfügung und kann Kontakte zu Beratungsstellen in ganz Deutschland herstellen.

Online-Beratungsangebot der Dortmunder Mitternachtsmission e.V.

Website

E-Mail an Hanna Biskoping 

Telefon: 0231/14 44 91

Buch: Sexuelle Gewalt an Kindern in familiären Lebenswelten – Zugänge und Hilfen (bekommt man in den Kinderschutz-Zentren)

Bundeslagebild Menschenhandel 

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