Heute weiß man, dass Frauen und Männer in der Medizin nicht gleichbehandelt werden dürfen – es im Gegenteil lebenswichtig ist, die medizinischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu kennen und zu beachten. Aber zu dieser Erkenntnis ist man erst in den letzten Jahren gekommen. In der Antike, im Mittelalter und sogar noch im 19. Jahrhundert waren die überwiegend männlichen Mediziner anderer Ansicht.

Wie Frauen aus der Medizin herausgehalten wurden

In der Antike hatten alle Krankheiten der Frau – Schmerzen, Veränderungen am Körper, seltsames Verhalten – eine Ursache: Hysterie. Benannt nach der Gebärmutter Hystéra.

Therapiert wurde ganz einfach mit Düften oder Schwangerschaft. Viele Jahrhunderte mussten Frauen unter diesen männlichen Ansichten leiden.

Im Mittelalter wurde es nicht besser. Hinter der hysterischen oder irgendwie auffälligen Frau vermutete „Mann“ dämonische Kräfte. Hexenverbrennungen und Teufelsaustreibungen waren die bevorzugten Mittel. Die Leiden der Frauen wurden mit Folterungen, oft bis zum Tod, „behandelt“.

In den folgenden Jahrhunderten gab es für die Frauen weiterhin keine Verbesserung. Die Gebärmutter wurde im „Krankheitsfall“ einfach komplett entfernt – was nur die wenigsten Frauen überlebten. Im 19. Jahrhundert waren aus Sicht der Männer die meisten Frauen hysterisch und die Behandlungen sahen die Ehe und Schwangerschaften als die wichtigsten „Medikamente“ vor. Es gab aber auch eine Reihe fragwürdiger Methoden – Intimmassage, Hypnose oder die Ovarienpresse. Erst Sigmund Freud (1856 – 1939) war der Meinung, dass auch Männer unter Hysterie leiden können – eine kleine „Entlastung“ für die Frauen. Heute ist Hysterie nicht mehr als Krankheit anerkannt. Aber etwas ist bis heute hängengeblieben. Körperliche Beschwerden von Frauen werden immer noch häufiger als übertrieben oder eingebildet abgetan, als das bei Männern der Fall ist.

Genderspezifische Nebenwirkungen

Medikamente haben durchaus eine geschlechterspezifische Wirkung, die sich mit negativen Ergebnissen bemerkbar macht. Schmerzmittel wirken bei Frauen anders als bei Männern. Wie das Beispiel Ibuprofen zeigt, ist die Wirkung bei Frauen weniger schmerzlindernd als bei Männern. Die Psyche wird je nach Geschlecht ebenfalls anders beeinflusst.

Wieso entdecken Wissenschaft und Medizin erst jetzt die geschlechtsspezifischen Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten?

Ganz einfach: In der Vergangenheit befanden sich unter den Probanden von klinischen Studien keine Frauen. Grund war der Contergan-Skandal Anfang der 60er Jahre, der gezeigt hat, wie fatal die Freigabe von unsicheren und nicht ausreichend getesteten Medikamente für Frauen sein können. Das veränderte die Zulassung neuer Arzneimittel. Ab 1978 mussten Medikamente erstmals in klinischen Studien getestet werden – allerdings nur von Männern, denn bei Frauen konnte eine frühe Schwangerschaft noch nicht sicher erkannt werden. Außerdem schwankt der Hormonhaushalt der Frauen stark und die Pharmafirmen befürchteten wechselnde Reaktionen auf die Wirkstoffe – Männer haben diese Schwankungen nicht. Die Studien wurden durch den Ausschluss der Frauen auch viel einfacher durchführbar und führten schneller in die gewinnbringende Marktreife. Leider war das viel zu kurz gedacht, denn so fehlten wichtige Daten. Das führte in den Behandlungen immer wieder zu falschen Dosierungen und teilweise zu heftigen Nebenwirkungen bei Frauen.

Erst seit Anfang der 2000er Jahre werden auf Betreiben der europäischen Arzneimittelagentur neue Medikamente auch an Frauen ausreichend getestet, bevor sie in den Handel kommen.

Heute sind 10 bis 80 Prozent der Probanden weiblich. Der Prozentsatz richtet sich danach, wie oft die zu behandelnde Krankheit bei Männern und Frauen vorkommt. Überraschende, geschlechtsspezifische Nebenwirkungen gehören also hoffentlich der Vergangenheit an.

Warum wir geschlechtsspezifische Medizin brauchen

Die beiden Beiträge verdeutlichen, dass Frauen lange Zeit in der Medizin vernachlässigt worden sind. Heute weiß man, dass Frauen und Männer in der Medizin nicht gleichbehandelt werden dürfen – es im Gegenteil lebenswichtig sein kann, die medizinischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu kennen und zu beachten. Egal, ob es sich um Krankheitssymptome, Krankheitsvorkommen oder die Nebenwirkungen von Medikamenten geht.

Unser Geschlecht beeinflusst, wie wir erkranken und wie wir behandelt werden sollten. Besonders deutlich zeigt das COVID-19 – Männer erkranken oft schwerer daran als Frauen. Dagegen leiden Frauen häufiger an Impfnebenwirkungen.

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede werden in der Medizin bis heute oft nicht richtig erkannt. Warum ist die Gleichbehandlung so gefährlich?

Hier nur ein Beispiel: Männer und Frauen entwickeln bei der gleichen Erkrankung, wie einem Herzinfarkt, völlig unterschiedliche Symptome. Für Mediziner ist dies nicht immer sofort zu erkennen.

Erst durch den Blick in den weiblichen und männlichen Körper werden die Unterschiede deutlich. Die Gene (Frau xx, Mann xy), die Sexualhormone (Männer: Testosteron, Frauen: Östrogen) und die Köpergröße (Männer sind normalerweise größer als Frauen) machen den Unterschied.

Bist Du jetzt neugierig geworden? Diese Quarks Folge „Gefährliche Gleichbehandlung: Warum wir geschlechtsspezifische Medizin brauchen“ klärt über die Mythen und Fakten rund um die geschlechtsspezifischen Unterschiede auf.

Die einhellige Meinung der Redaktion: Ein wirklich sehenswerter Betrag!

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Hier noch einmal alle Links und Informationen zu den Quarks Folgen:

Wie Frauen aus der Medizin herausgehalten wurden Beitrag aus Quarks vom 08.06.2021

Genderspezifische Nebenwirkungen Beitrag aus Quarks vom 08.06.2021

Gefährliche Gleichbehandlung: Warum wir geschlechtsspezifische Medizin brauchen Beitrag aus Quarks vom 08.06.2021

Alle Videos sind in der Mediathek des WDR Fernsehen bis 08.06.2026 – 21:00 Uhr verfügbar.