
Nice Price – Die Tricks der Textilindustrie
Ich gestehe, mein Kleiderschrank platzt aus allen Nähten. Trotzdem habe ich das Gefühl, immer noch mehr Klamotten kaufen zu müssen. Gerne darf es auch mal ein Stück aus dem Outlet sein. Oder ein Online-Kauf bei dem bekannten Kaffeeriesen. Geht es Dir auch so?
Seit einiger Zeit frage ich mich, wie die Textilbranche es schafft, dass wir immer mehr kaufen, als wir wollen und brauchen. Und welche Auswirkungen hat dieses Kaufverhalten auf mich und welche hat es auf unsere Umwelt? Mehr zufällig habe ich die ZDF-Info Dokumentation „Nice Price – Die Tricks der Textilindustrie“ gesehen. Die Redakteurin Pia Osterhaus schaut hinter die Kulissen der Textilbranche, denn für nichts geben wir mehr Geld aus als für unsere Kleidung – 2023 waren es allein in Deutschland über 65 Milliarden Euro … nur für Kleidung! Das macht die Textilindustrie zur umsatzstärksten Nonfood-Branche.
Outlet – günstig und gut?
Outlets – sind sie noch zeitgemäß oder längst ein alter Hut? Der Begriff „Outlet“ (zu deutsch „Auslauf“) ist erst Ende der 1990er Jahre entstanden. Dort verkaufen große Marken ihre Ware zu deutlich reduzierten Preisen. Outlet Stores gibt es (inzwischen) deutschlandweit, von einzelnen Ladenlokalen bis hin zu Outlet-Cities. Natürlich ist der Hype auch in den sozialen Medien angekommen. Vor allem Mikro-Influencer werden gezielt im Marketing eingesetzt, um Kleidung und Accessoires subtil zu bewerben und unser Konsumverhalten zu beeinflussen. Sie nehmen ihre Follower mit auf eine (private) Shoppingtour und promoten so auch die Schnäppchen der großen Marken.

Sind diese Schnäppchen wirklich gut und billig? Ist es Ware aus dem letzten Jahr oder der letzten Saison? Handelt es sich tatsächlich um Kleidung, die in den regulären Geschäften keine Abnehmer gefunden hat oder wird die Kleidung extra für die Outlets billig hergestellt?
Für alle Fragen gilt ein vorsichtiges „Ja“, denn nicht immer und nicht bei allen Marken ist das die Strategie für die Outlet-Stores. Einige müssen zugeben, dass sie tatsächlich für ihre Outlets Ware günstiger produzieren lassen. Im direkten Vergleich der Ware findet die Textiltechnikerin Vanessa Gudehus schnell die markanten Unterschiede, z. B. zwischen einer Jeans aus dem Outlet und einer aus dem regulären Angebot der gleichen Marke. Die Hose aus dem Outlet ist günstiger, aber von schlechterer Stoffqualität. Sie hat einen einfacheren Schnitt und wurde in einem Niedriglohnland hergestellt. Zudem fehlen ihr einige Details im Design. Doch nur, weil es einige Marken so machen, heißt das nicht, dass alle so handeln.
Was heißt das für mich?
1. Ich kann im Outlet ein Schnäppchen machen, muss mir aber bewusst sein, dass der Hersteller unter Umständen an Stoff, Verarbeitungsqualität und Design gespart hat.
2. Nicht jedes Teil, das ich im Outlet kaufe, ist wirklich ein Schnäppchen. Rechtlich betrachtet darf ein Händler mit der (oft deutlich höheren) unverbindlichen Preisempfehlung der Hersteller werben, auch wenn ein Artikel nie zu diesem Preis angeboten und verkauft worden ist.
3. In Zukunft werde ich mir die Etiketten genauer anschauen und mich vergewissern, dass ich in meinem Lieblings-Outlet wirklich erstklassige Ware günstiger bekomme. Mehr Aufmerksamkeit kann hier nicht schaden.

Rabatt-Aktionen – spare ich hier wirklich?
Was haben die Geschäfte nur immer mit ihren Rabatt-Aktionen? „Kaufe 3 – Zahle 2“ oder „Sale – spare bei jedem Produkt 30 %“. Hand aufs Herz – rechnest Du hier wirklich nach oder greifst Du einfach zu, frei nach dem Motto „Hauptsache günstig“? Sind die Schilder „Sale“ oder „Rabatt“ groß genug und leuchtend rot, fallen wir immer wieder auf diese (oft nur) Scheinrabatte herein. Sie vermitteln uns das Gefühl der Dringlichkeit und wir dürfen DAS auf keinen Fall verpassen. Die allgegenwärtigen „Sale“-Schilder in Fast-Fashion-Läden suggerieren Schnäppchen, doch häufig stecken ausgeklügelte Preisstrategien dahinter. In der Psychologie und Wirtschaftswissenschaft heißt unser Verhalten „Verlustaversion“ und beschreibt die generelle Tendenz, Verluste stärker zu gewichten als Gewinne.
In der Dokumentation probiert Pia Osterhaus es aus. An ihrem improvisierten Sale-Stand auf dem Kurfürstendamm in Berlin bietet sie 6 Paar Socken für 5,99 € und 3 Paar Socken für 2,49 € an. Mit versteckter Kamera filmt sie ihre Aktion. Und tatsächlich: Nur ein Kunde rechnet nach und stellt fest, dass es deutlich günstiger ist, 2 Pakete mit 3 Paar Socken zu kaufen. Alle anderen Käufer:innen sind auf den „Rabatt-Trick“ hereingefallen. Ooops!
Jetzt frage ich mich, wann ich das letzte Mal in eine solche Falle getappt bin … ok, das passiert mir nur, wenn es um Wolle zum Häkeln oder Stricken geht. Da vergesse ich zu Denken und der einfache Dreisatz ist mir in dem Moment auch entfallen. Übrigens: auch „Special Price“ und „Black Friday“ arbeiten mit diesen Methoden. Also Augen auf beim Schnäppchenkauf!

Warum arbeitet denn gerade die Textilindustrie so krass mit hohen Rabatten? Ist ihnen ihr Gewinn egal? Tatsächlich wollen sie Geld sparen und ihre Kosten senken. Klingt erstmal gegensätzlich, ist aber korrekt. Gerade in der Fast-Fashion kommen pro Jahr bis zu 12 Kollektionen heraus. Die Lagerung der Ware ist für die Geschäfte der Hauptanteil ihrer Kosten. Im Schnitt kostet ein liegend gelagertes Kleidungsstück 0,009 €, das sind bei durchschnittlich 1 Mio. gelagerten Teilen 63.000 € pro Woche. Daher verkaufen sie ihre Ware lieber mit einem geringeren Gewinn (eben rabattiert) als sie gar nicht zu verkaufen und noch länger zu lagern. Die großen Bekleidungshändler (online und in den Geschäften) machen ca. 20 bis 30 % ihres Umsatzes mit Rabatt-Aktionen und Sales. Hättest Du das gewusst? Ich nicht!
Ein Social-Media Trend „Lauft nicht, rennt!“?
In den 50er Jahren war es Marilyn Monroe, dann Stars wie Kate Moss, David Beckham, Madonna und Heidi Klum – die Markenbotschafter. Heute heißen sie Mega-Influencer und haben extrem viele Follower – wie zum Beispiel dagibee (6,7 Mio.), carodaur (4,6 Mio.) oder in den USA kyliejenner (398 Mio.). Posten diese Menschen ein Produkt, ist es in Sekunden ausverkauft. Große Modemarken arbeiten schon seit Jahren mit solchen Social-Media-Spezialisten (oder Botschafter:innen), um ihre Produkte an die Frau und den Mann zu bringen.

Auf TikTok, Instagram und Co gibt es aber auch viele Videos von sogenannten Mikro-Influencern, die „nur“ zwischen 2.000 und 200.000 Follower haben. Viele Modemarken haben sie in den letzten Jahren für ihr Empfehlungsmarketing entdeckt. Ihr Vorteil: ihr Produktplacement wirkt eher wie eine persönliche Empfehlung, da sie nahbar sind und eine intensivere Verbindung zu den Followers aufbauen. Der Verhaltenspsychologe Riccardo Frink nennt das eine „parasoziale Beziehung“ – die positive Einstellung zum/zur Influencer:in überträgt sich auf das Produkt, das vorstellt bzw. empfohlen wird.
Pia Osterhaus trifft sich mit der Mikro-Influencerin Josephine Lueck (aka officialjosi). Sie bekommt täglich mehrere Anfragen für Werbedeals. Ihre Instagram Videos wirken, wie von einer besten Freundin erstellt. Josephine stellt Pia Osterhaus DEN Trend des letzten Sommers vor – „Lauft nicht, rennt.“ Dabei posten Influencer:innen kurze Videos, in denen sie eine Marke oder Produkt als „Schnäppchen“, „süß“, „trendy“ oder „must have“ vorstellen. Sie raten ihren Followern, diese sofort zu kaufen, bevor sie nicht mehr zu haben sind.
Gemeinsam starten Pia und Josephine den Versuch mit einem Berliner In-Label. Josephine dreht einen kurzen Instagram-Clip und postet ihn. Keine zwei Stunden später kommen deutlich mehr Menschen in das Geschäft und fragen nach dem Artikel, um den es in dem Instagram Post ging. Josephine hat also mit ihrem Video einen vorher nicht vorhandenen Bedarf geschaffen und den Verkauf eines Produktes deutlich gesteigert.
Große Marken haben das schon lange erkannt und haben oft mehr als 1.000 Kooperationen zeitgleich mit verschiedenen Influencern. Hier macht „Kleinvieh auch Mist“.
Retouren und Umweltbelastung
Seit Jahren verzeichnet der Onlinehandel starke Umsatzsteigerungen. Durch Corona wurde das Einkaufen im Netz zum Standard. Die Händler hatten die Herausforderung, den Käufern die gleichen Umtauschrechte einräumen zu müssen, wie im Ladenlokal. Seitdem steigt die Anzahl der Retouren und der Umgang mit Rücksendungen ist inzwischen ein großes Problem im Onlinehandel.
Denn so geht doch Online-Shopping – ein paar Größen testen, einen neuen Style ausprobieren oder mal was Ausgefallenes wagen. Ein Click hier, einer da und schnell ist der Warenkorb gefüllt und die neuen Klamotten sind bestellt. Kommt die Kleidung nach Hause, stellst du schnell fest, dass die Bluse zwar schön, aber doch zu kurz ist und die Jeans nicht passt.
Also schnell wieder zurückschicken – ist ja ganz einfach und kostenlos. Das hat dazu geführt, dass im Schnitt 25 % der Kleidung wieder zurückgeschickt wird. 2021 gingen 440 Mio. Modebestellungen retour. Alle bekannten Handelsketten schreiben auf ihren Webseiten, dass sie die Emissionen der Retouren reduzieren wollen, ohne dabei konkrete Zahlen zu nennen. Aber was passiert mit den Rücksendungen? Pia Osterhaus probiert es aus und versieht 18 Kleidungsstücke für die Retoure mit einem GPS-Tracker. Anschließend schickt sie die 18 Pakete einzeln zurück und verfolgt deren Wege. Keines der Teile bleibt lange an einem Ort, sie bewegen sich durch ganz Europa.

Eine Hose kommt besonders weit herum. Sie reist von Berlin nach Polen, von dort nach Bayern und wieder zurück nach Polen. Dann geht es quer durch Deutschland nach Amsterdam, zurück über Berlin wieder nach Polen. Am Ende hat sie über 5.000 km auf dem Zettel.
Auch bei den Retouren spielen wieder die Lagerkosten eine Rolle. Es ist offensichtlich kostengünstiger, Retouren „in Bewegung“ zu halten, als sie irgendwo lange zu lagern. Die 18 Kleidungsstücke haben nach den 3 Monaten des Experiments insgesamt über 38.000 km zurückgelegt!
Umweltfreundlich geht anders! Aber jede:r, der online etwas bestellt, kann beeinflussen, wie sehr die Umwelt geschädigt wird – weniger Retouren sind da ein nicht unwesentlicher Faktor.
Die Bekleidungsindustrie setzt in Zukunft wohl auf Künstliche Intelligenz und will damit den Online-Einkauf revolutionieren. Dann probiert unser Avatar die Kleidung an und wir Menschen können entscheiden, ob uns ein Kleidungsstück gefällt und passt. Damit wird sich die Anzahl der Retouren hoffentlich deutlich verringern.
Mein Fazit
Die Textilindustrie erzielt Jahr für Jahr Rekordumsätze und beeinflusst unsere Kaufentscheidungen oft unbemerkt. Ich werde mir in Zukunft genau überlegen, ob und welche Kleidung ich online kaufe und versuchen, auf Retouren zu verzichten. Bei Rabatt-Aktionen werde ich meinen Taschenrechner anwerfen und mir ausrechnen, wie viel ich wirklich spare. Und in Outlets werde ich mir die Schildchen in der Kleidung genauer anschauen, um festzustellen, wo die Kleidung produziert wurde und aus welchem Material sie genäht ist. Danke an ZDF-info für diese Dokumentation – mein Konsumverhalten bei Kleidung wird sie auf jeden Fall verändern.
Die vollständige Dokumentation ist in der ZDF-Mediathek verfügbar.
https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/nice-price-die-tricks-der-textilindustrie-100.html (verfügbar bis 03.01.2027)
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Neues Leben für alte Kleidung · Szenemode statt wegschmeißen (verfügbar bis 31.12.2026)
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